Burnout vorbeugen
28. April 2014Eigentlich hat Anika keine Zeit für einen Kaffee. Mal wieder sitzt ihr eine Frist im Nacken. Sie muss eine Hausarbeit in Erziehungswissenschaften fertig kriegen - bald ist die Deadline. Doch wenn sie von ihrem Studium erzählen soll, werden es schnell mehrere Tassen Milchkaffee. Denn ihr brennt so einiges auf der Seele. Nicht nur Positives. Deswegen heißt Anika im echten Leben anders - sie will es sich mit ihren Professoren nicht verscherzen.
Die 30-jährige Lehramtsstudentin erzählt, dass sie zu wenig in die Schule kommt. Vier Praktika für jeweils sechs Wochen sind an der Uni Bremen bis zum Master vorgeschrieben. Das reicht ihr auch deswegen nicht, weil sie sich während des Praktikums nicht voll auf die Schule konzentrieren kann. "Meistens haben wir unmittelbar vorher Klausuren, manche schreiben auch währenddessen Klausuren oder wir haben mündliche Prüfungen oder schriftliche Abgaben", sagt sie. Am Ende bleibe zu wenig Zeit, um das eigene Tun zu überprüfen, kritisiert die angehende Lehrerin für Kunst und Deutsch.
Herausforderung Heterogenität
"Die Ausbildung an der Uni muss besser werden", fordert auch der Direktor des Zentrums für Lehrerbildung in Bremen, Professor Andreas Lehmann-Wermser. Der Schulalltag heute sei komplizierter als vor zwanzig, dreißig Jahren. Insbesondere die zunehmende Heterogenität fordert die Lehrer, sagt Lehmann-Wermser: Kinder aus armen Familien sitzen neben Kindern mit wohlhabenden Eltern. Manche Mitschüler haben eine Behinderung, andere bringen einen anderen kulturellen Hintergrund mit, sprechen vielleicht auch nicht gut Deutsch. Auf diese Herausforderungen müssen Lehrer heute täglich Antworten finden.
Doch viele Pädagogen, so zeigt eine aktuelle Studie, sind genau diesen Herausforderungen nicht mehr gewachsen. Rund 30 Prozent leiden unter Burnout. "Sie fühlen sich emotional erschöpft und meinen, dass sie nicht mehr positiv Einfluss nehmen können in ihrer beruflichen Tätigkeit", erklärt Bettina Hannover, Professorin an der Freien Universität Berlin im Gespräch mit der Deutschen Welle. Sie ist Mit-Autorin des Gutachtens "Psychische Belastungen und Burnout beim Bildungspersonal", das der Aktionsrat Bildung, eine Initiative der bayerischen Wirtschaft, jüngst veröffentlicht hat.
Allein in Bayern, so rechnet die Studie vor, kostet der krankheitsbedingte Ausfall der Pädagogen rund 330 Millionen Euro. Der Aktionsrat fordert deshalb ein betriebliches Gesundheitsmanagement an Schulen, das es bislang noch nicht gibt. Außerdem drängt er auf eine Reform der Lehrerausbildung.
Erst das Praktikum, dann das Studium
Gerade zu Beginn des Studiums müssten Studierende mehr Möglichkeiten haben, ihren späteren Beruf durch Praktika kennenzulernen, "um zu sehen, ob ihnen das Unterrichten liegt", fordert Bettina Hannover. Auch eine intensivere Beratung der Studierenden am Anfang des Studiums hält die Professorin für zwingend erforderlich. "Wir müssen ihnen ein realistisches Bild des Berufs vermitteln und sie dabei unterstützen, dass sie wirklich prüfen, ist es das, was wirklich meinen Wünschen entspricht".
Auch der internationale Bildungsexperte Andreas Schleicher sieht dringenden Reformbedarf, wenn es um die Aus- und Fortbildung deutscher Lehrer geht. In Finnland müssten Lehramtsstudenten vor Beginn des Studiums ein einjähriges Praktikum an einer Schule machen, berichtet der Pisa-Experte. "Erst wenn sie sich in der Praxis bewährt haben, bekommen sie einen Studienplatz." Überhaupt gebe es in vielen anderen Staaten, insbesondere den asiatischen Pisa-Siegern, viel mehr Ehrgeiz, die "besten Pädagogen" zu finden und auszubilden. In Shanghai etwa habe jeder Lehrer Anspruch auf 100 Fortbildungsstunden im Jahr.
Mehr gute Praxis und vernetzte Theorie
Professor Andreas Lehmann-Wermser geht es aber nicht nur um mehr Zeit für die Praxiserfahrungen der angehenden Lehrer. Zumal die Lehramtskandidaten in Bremen künftig ein halbes Jahr am Stück in einer Schule Praxiserfahrung sammeln sollen. Es geht ihm auch um die Qualität der Praxis. Er plädiert dafür, die Studierenden eng zu begleiten, mit ihnen gemeinsam die Erfahrungen zu reflektieren und vor allem Zweifel zu besprechen. Es komme auch vor, dass er einem Studierenden abrate, Lehrer zu werden, weil der Kandidat zu viele Schwächen hat, erzählt Lehmann-Wermser. Zu einem Abbruch zwingen kann er jedoch niemanden.
Neben der praktischen Ausbildung legt der Professor aber auch Wert auf einen stärkeren Praxisbezug in der Lehre. Die Fachausbildung, Didaktik und Erziehungswissenschaften müssten enger verzahnt werden, meint Lehmann-Wermser. Bisher lernen Lehrer ihr Fach - also zum Beispiel Deutsch, Mathe oder Kunst - in Seminaren, die keinerlei Bezug zur Schule haben. Das müsse sich ändern. "Die Theorie an der Uni muss sich für die Lehrämter besser vernetzen und Bezüge zueinander herstellen", fordert der Uniprofessor für Musikwissenschaft.
Studentin Anika nennt noch eine weitere wichtige Aufgabe, auf die sie sich in ihrem Studium kaum vorbereitet fühlt: die Kommunikation mit Schülern und Eltern. Das, so bemängeln in einer Umfrage fast zwei Drittel der deutschen Junglehrer, wird ihnen an der Uni nicht beigebracht. Und gerade der Umgang mit frechen oder lernunwilligen Schülern und nörgelnden Eltern sorgt bei vielen Lehrern für Stress. "Es wird immer wieder Situationen geben, die mich fordern", ist sich Annika sicher. Doch sie ist sich auch sicher, dass sie der Belastung stand halten wird. Mit ihrer Ausbildung habe das jedoch weniger zu tun. Vielmehr vertraut sie ihrer Persönlichkeit.