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Köhler spricht Klartext

Jens Thurau1. Juli 2004

Horst Köhler ist neuer deutscher Bundespräsident. Am Donnerstag (1.7.) wurde der 61-Jährige in Berlin vereidigt. Was die Deutschen von ihm zu erwarten haben, deutete sich schon in seiner Antrittsrede an.

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Eid auf die Verfassung: Bundespräsident Horst KöhlerBild: AP

Als er von Union und FDP zum Kandidaten für das Bundespräsidentenamt erkoren wurde, war Horst Köhler weitgehend unbekannt. Am Donnerstag (1.7.04) wurde der Volkswirtschaftsprofessor als neuntes Staatsoberhaupt der Bundesrepublik vereidigt - und mit einer bemerkenswert lebendigen Rede trug er viel dazu bei, dass ihn nun wohl alle Deutschen kennen.

Nächstenliebe und Solidarität

Zapfenstreich für Bundespräsident Johannes Rau
Rau nimmt Abschied von seinem Amt als BundespräsidentBild: dpa

Doch die ersten Minuten des feierlichen Festaktes vor den Mitgliedern von Bundestag und Bundesrat im Reichstag in Berlin gehörten Köhlers Vorgänger. Johannes Rau verabschiedete sich sichtlich bewegt - und appellierte daran, in Zeiten heftiger Umbrüche Nächstenliebe und Solidarität nicht zu vergessen: "Unser Land lebt vom Fleiß und vom Einfallsreichtum seiner Menschen. Es lebt aber auch von Solidarität und Mitgefühl - von praktizierter Nächstenliebe." Es sei schrecklich, wenn Menschen keine Arbeit fänden, und es müsse die wichtigste Aufgabe der Politik bleiben, die Arbeitslosigkeit zu bekämpfen, sagte Rau. Noch schlimmer sei es aber, wenn Menschen keinen Platz in der Gesellschaft finden.

Offene Kritik

Am 23. Mai war Horst Köhler als Kandidat von Union und FDP in der Bundesversammlung gewählt worden - mit 604 von 1204 Stimmen eine knappe Wahl. Schon damals hatte er klar gemacht: Er will sich einmischen in die aktuellen Probleme des Landes, er will drängen und zuspitzen. Aus einem Original des Grundgesetzes von 1949 las er zunächst den Amtseid ab, und dann las er den versammelten Eliten des Landes die Leviten.

Nicht Morgen, nicht bald, sondern jetzt müsse das Land sich verändern. Die begonnenen Reformen der Regierung im Sozialsystem und auf dem Arbeitsmarkt seien richtig. Weniger gut seien die gegenseitigen Blockaden zwischen Regierungsmehrheit im Bundestag und Unions-dominierter Länderkammer.

Eine heitere Rede war es dennoch, Köhler geht es auch um Zuversicht. Wir schaffen das, wir fangen jetzt an, lautete seine Botschaft. Klar bekannte er Missstände: Was Frauen in Spitzenpositionen angehe, sei Deutschland ein Entwicklungsland. Endlich müsse Deutschland kinderfreundlich werden, Gerichtsurteile gegen Kinderlärm dürfe es nicht mehr geben. Es gebe Schwierigkeiten, aber richtig schlecht gehe es Menschen in ganz anderen Ländern, vor allem in Afrika. Und Klartext auch beim Thema Sozialstaat: "Wir haben es nicht geschafft, den Sozialstaat rechtzeitig auf die Bedingungen einer alternden Gesellschaft und einer sich verändernden Arbeitswelt einzustellen", kritisierte der neue Bundespräsident.

Fürs Protokoll

Bellevue wechselt die Bewohner
Schloss Bellevue wechselt die Bewohner. Ehepaar Köhler mit Johannes und Christina RauBild: AP

Ungeduld werde ihm oft vorgeworfen, fügte Köhler an. Er ließ das einfach so im Raum stehen, er scheint nichts dagegen zu haben, zur Zeit in Deutschland ungeduldig zu sein. Am ersten Tag seiner fünfjährigen Amtszeit warteten auf Köhler und seine Frau Eva aber in erster Linie protokollarische Pflichten: Ein Empfang gemeinsam mit Johannes Rau für das Diplomatische Korps, militärische Ehren zur Amtseinführung - und der Einzug ins Bundespräsidialamt.