Käthe-Kollwitz-Preis für Hito Steyerl
20. Februar 2019Hito Steyerl sei eine Künstlerin, deren besonderes Interesse den Medien, der Technologie und der Verbreitung von Bildern gelte, so die Akademie der Künste in ihrer Begründung zur Vergabe des Käthe-Kollwitz-Preises 2019. Wie kaum einer anderen gelinge es ihr, "auf provokante und scharfsinnige Weise physische, visuelle und intellektuelle Informationen in einem Werk zu bündeln". Mit ihren Bildmontagen aus Computeranimationen, Massenmedien und selbstgedrehten Szenen reagiere Steyerl auf die digitalen Einflüsse der Gegenwart und mache auf politische und gesellschaftliche Prozesse aufmerksam, so die Jury.
An der Schnittstelle zwischen Film und bildender Kunst
Steyerl ist eine Grenzgängerin zwischen Medien und Kunstformen, die ganz bewusst mit den Irritationen der verschiedenen Sichtweisen arbeitet. Ihre Werke bewegen sich an der Schnittstelle zwischen Film und bildender Kunst, zwischen Theorie und Praxis: Es sind Texte, Performances, Multimedia-Installationen und essayistische Dokumentarfilme. Steyerl setzt sich darin mit postkolonialer Kritik, feministischer Repräsentationslogik sowie den Einflüssen der Globalisierung auf den Finanz-, Arbeits- und Warenmarkt auseinander.
Hito Steyerl, 1966 in München geboren, ist Künstlerin, Filmemacherin und Autorin. An der Universität der Künste in Berlin ist sie seit 2011 Professorin für Experimentalfilm und Video sowie Mitbegründerin des "Research Centers for Proxy Politics", eines Langzeitprogramms für Studenten. Bekannt wurde Steyerl unter anderem durch ihre Arbeiten für den deutschen Pavillon auf der Biennale in Venedig, im Museum of Contemporary Art in Los Angeles und im Museum of Modern Art in New York.
Erste Frau auf Platz 1 der "Power 100"
Als erste Frau und damit als erste Künstlerin hatte das britische Kunstmagazin "Art Review" Steyerl 2017 zur "einflussreichsten Persönlichkeit im internationalen Kunstbetrieb" gekürt: Sie landete auf Platz 1 der Liste "Power 100" (nach Platz 7 im Jahr 2016). Das Ranking gilt als "Who is Who" der Kunstszene und wird jedes Jahr von einem Gremium aus 20 Galeristen, Kuratoren, Museumsdirektoren und Künstlern zusammengestellt, die anonym bleiben.
Erfahrungen mit dem Film sammelte Steyerl bereits im Alter von 16 Jahren als Stuntfrau. Im selben Jahr flog sie auch von der Schule. Doch auch ohne Schulabschluss wurde sie an der Kunsthochschule in Tokio angenommen - dort studierte sie von 1987-1990 Kinematographie und Dokumentarfilmregie. Dann folgte ein Ausflug in die Praxis: Als Regieassistentin begleitete sie Wim Wenders für dessen Film "Until the End of the World" 1990/91 anderthalb Jahre lang nach Australien, Japan, Europa und in die USA.
Auch ohne Schulabschluss zur Professur
Mitte der 1990er Jahre setzte Steyerl dann ihr Dokumentarfilmregiestudium fort, diesmal an der Hochschule für Fernsehen und Film in München. In ihren frühen Dokumentarfilmen ("Deutschland und das Ich", "Land des Lächelns" oder "Babenhausen" aus den Jahren 1994-1997) beschäftigte sich Steyerl mit Antisemitismus, Rassismus und Neonazismus. 1999 drehte sie mit "Normalität 1-10" einen Episodenfilm über antisemitische Gewalttaten in Deutschland und Österreich nach 1989.
2003 promovierte Steyerl mit einem philosophischen Dissertationsthema an der Akademie der Bildenden Künste in Wien. Danach arbeitete sie am Center for Cultural Studies des Goldsmith College in London sowie als Gastprofessorin an der Royal Academy of Copenhagen und der Academy of Fine Arts in Helsinki.
Feminismus, Dokumentation, Kapitalismuskritik
Für den essayistischen Film "November" (2004) verwendete Steyerl einen von ihr in den 1980er Jahren gedrehten, feministischen Martial-Arts-Film im Super-8-Format, in dem ihre beste Freundin Andrea Wolf die Kämpferin spielte. Wolf wandte sich in den 1990er Jahren der kurdischen PKK zu, wurde 1998 getötet und seither als Revolutionärin verehrt. "November" bekam so auch eine unmittelbare dokumentarische Bedeutung.
Für die Videoinstallation "Lovely Andrea" (2007, documenta Kassel) ging Steyerl in Tokio auf die Suche nach alten Aufnahmen von 1987, die sie als Bondage-Model zeigen. 2015 installierte sie im Deutschen Pavillon der Biennale von Venedig unter dem Titel "Factory of the Sun" ein kapitalismuskritisches Videospiel, das man nur betrachten, aber nicht spielen konnte. Für die Süddeutsche Zeitung war das "so böse, so wahnwitzig und radikal zeitgenössisch", wie niemand zuvor diesen Ort bespielt habe.
Der nach der Künstlerin Käthe Kollwitz benannte Kunstpreis wird seit 1960 jedes Jahr von der Berliner Akademie der Künste an eine bildende Künstlerin oder einen bildenden Künstler vergeben. Die Mitglieder der Jury werden jedes Jahr neu bestimmt. Mit dem Preis verbunden ist eine Ausstellung in der Akademie der Künste am Pariser Platz in Berlin: Vom 21. Februar bis zum 14. April wird dort unter anderem Steyerls Installation "Hell Yeah We Fuck Die" zu sehen sein, mit der die Künstlerin die Rolle der Computertechnologie in Kriegssituationen konkretisiert - anhand von Video-Audio-Sequenzen humanoider Roboter.
Noch bis zum 30. Juni 2019 präsentiert außerdem das Castello di Rivoli in Turin mit der Ausstellung "The City of Broken Windows" das neueste Werk der Videokünstlerin.