Chalut: "Das Böse lauert überall"
19. April 2015Vertreter von Häftlingsverbänden und Politiker riefen in der Gedenkstätte Ravensbrück in Fürstenberg dazu auf, die Erinnerung an die Verbrechen der Nazis und deren Opfer wachzuhalten und Rassismus und Antisemitismus entschieden entgegenzutreten. Die Ehrenvorsitzende des internationalen Ravensbrück-Komitees, Annette Chalut, sagte, dass sich die ehemaligen Häftlinge wegen ihres hohen Alters bei der Gedenkfeier vielleicht ein letztes Mal dort versammelt hätten. Die NS-Verbrechen und ihre Opfer "dürfen niemals vergessen werden", sagte die 90-jährige Französin, die als Widerstandskämpferin in Ravensbrück inhaftiert war. Es sei nun Aufgabe der kommenden Generationen, diese Erinnerung zu bewahren und weitere Menschheitsverbrechen zu verhindern. "Wir haben die Pflicht zu absoluter Wachsamkeit", betonte Chalut. "Das Böse kann jederzeit wiederkommen."
Bundesbildungsministerin Johanna Wanka mahnte zu einem entschiedenen Auftreten gegen Fremdenhass. Aus den Gräueltaten der Nationalsozialisten ergebe sich eine Verpflichtung und Verantwortung, sagte sie in Fürstenberg an der Oberhavel. "Wir dürfen nicht schweigen, wenn wir Zeuge werden von Rassismus, Antisemitismus, Extremismus." Die Vergangenheit und die NS-Verbrechen seien eine Mahnung, jederzeit für die Würde des Menschen einzutreten. Dies sei nicht nur Verantwortung der Politik, sondern der ganzen Gesellschaft.
Die CDU-Politikerin bedankte sich bei den KZ-Überlebenden für deren Engagement bei der Erinnerungsarbeit. Knapp 90 frühere Häftlinge und 1000 weitere Gäste aus aller Welt waren zu der zentralen Gedenkveranstaltung zum 70. Jahrestag der Befreiung des Lagers nach Ravensbrück gekommen.
Woidke: "Wehret den Anfängen!"
"Das Erinnern hat keinen Schlusspunkt", betonte Brandenburgs Ministerpräsident Dietmar Woidke. Fremdenhass auf der Straße, Brandanschläge auf Flüchtlingsunterkünfte und Morddrohungen gegen Menschen, die sich für Flüchtlinge engagieren, müsse mit deutlicher Gegenwehr und solidarischem Handeln begegnet werden, sagte Woidke. Der SPD-Politiker forderte: "Wehret den Anfängen!" Vor den grausamen Verbrechen, die die Nazis im sogenannten Konzentrationslager (KZ) Ravensbrück und an anderen Orten verübt hätten, versage auch heute die Sprache, betonte Woidke. Die Überlebenden mahnten, dass unter die NS-Vergangenheit "kein Schlussstrich" gezogen werden dürfe.
Im größten Frauenlager der Nationalsozialisten auf deutschem Gebiet kamen nach Angaben der Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten mehr als 25.000 Frauen und 2500 Männer ums Leben – sie wurden ermordet, starben an Hunger oder Krankheiten oder durch medizinische Experimente. In Ravensbrück waren zwischen 1939 und 1945 mehr als 150.000 Menschen aus mehr als 40 Nationen inhaftiert. Die Häftlinge mussten in rund 40 Außenlagern Zwangsarbeit leisten. Das Unternehmen Siemens & Halske betrieb direkt neben dem Lager große Produktionsanlagen. Kurz vor Kriegsende trieben SS-Einheiten mehr als 20.000 Häftlinge aus Ravensbrück auf Todesmärsche. Am 30. April 1945 wurden die verbliebenen rund 2.000 kranken Häftlinge von der Roten Armee befreit.
Gedenken auch in Sachsenhausen
An diesem Sonntagnachmittag soll auch in der Gedenkstätte Sachsenhausen in Oranienburg nördlich von Berlin an die Befreiung der KZ-Häftlinge im April 1945 erinnert werden. Zu der Gedenkveranstaltung wird neben vielen Überlebenden und Gästen auch Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier erwartet.
Von 1936 an wurden in dem Lager, das im Sommer 1936 während der Olympischen Spiele in Berlin errichtet wurde, etwa 204.000 Menschen von den Nazis interniert. Zehntausende kamen durch Hunger, Krankheiten, Zwangsarbeit und Misshandlungen um oder wurden Opfer von Vernichtungsaktionen der SS. Auf den Todesmärschen nach der Evakuierung des Lagers Ende April 1945 starben weitere Tausende Häftlinge. Im Totenbuch der Gedenkstätte sind die Namen von 22.000 Opfern verzeichnet.
kle/fab (epd, afp, dpa)