Kushner schießt gegen UNRWA
9. August 2018Lange Zeit war über Jared Kushners Pläne nichts bekannt. Über Monate gehörte der Friedensplan, den der US-Sondergesandte für den Nahen Osten ausarbeitete, zu den bestgehüteten Dokumenten im politischen Washington. Dann aber tat sich irgendwo ein Riss auf, durch den nun einige persönliche E-Mails Kushners und seiner Mitarbeiter an die Zeitschrift "Foreign Policy" und damit an die Öffentlichkeit gelangten.
Durch sie wurden zwar keine konkreten Details des Plans bekannt, wohl aber der Geist, in dem an ihm gearbeitet wird. Eines der Ziele: dem "Hilfswerk der Vereinten Nationen für Palästina-Flüchtlinge im Nahen Osten" (UNRWA) seine bisherige Bedeutung zu nehmen.
"Es ist wichtig, eine ehrbare und aufrichtigen Anstrengung zu unternehmen, um das UNRWA aufzuhalten", schreibt Kushner in einer diese Mails, andressiert unter anderem an den Sondergesandten des US-Präsidenten für internationale Verhandlungen, Jason Greenblatt. "Es setzt den Status Quo auf Dauer, es ist korrupt, ineffizient und hilft dem Frieden in der Region nicht", begründet Kushner seine Sicht.
Vorwurf der Ineffizienz
Mit seiner Einschätzung setzt sich Kushner von der bisherigen US-Politik gegenüber dem Hilfswerk grundlegend ab. Zwar gab es immer wieder Kritik an dem Hilfswerk, doch die USA unterstützten es seit dessen Gründung im Jahr 1949. Trotz mancher Vorbehalte werteten die bisherigen US-Regierungen das Hilfswerk als Stabilitätsfaktor in der Region.
Anders die Trump-Administration: Anfang dieses Jahres hatte Kushners Schwiegervater, US-Präsident Donald Trump, entschieden, dem UNRWA die Hilfsgelder zu kürzen, genauer: bereits zugesagte Hilfsgelder nicht auszuzahlen. Seine Begründung lautete ganz ähnlich wie die von Kushner: Das Hilfswerk sei ineffizient, außerdem weigerten sich die Palästinenser, mit Israel Friedensverhandlungen zu beginnen.
Diese Politik habe gravierende Folgen, sagt Nahost-Experte Günter Meyer, Direktor des Zentrums für Forschung zur Arabischen Welt an der Universität in Mainz. "Die USA sind mit über 378 Millionen US-Dollar jährlich der bei weitem größte Unterstützer für das UN-Flüchtlingshilfswerk. Wenn die darauf gründenden Hilfsprogramme - für Schulen, für Ernährung - wegfallen, ist das ein gravierender Rückschlag für die Palästinenser", so Meer im Gespräch mit der DW.
Schwierige Lebensbedingungen
Dies gilt insbesondere für die außerhalb Israels und der palästinensischen Autonomiegebiete lebenden Palästinenser. Während sie in Jordanien weitgehend in die Gesellschaft integriert sind - sie stellen dort ein gutes Fünftel der knapp zehn Millionen Einwohner -, ist ihre Lage im Libanon schwierig. Viele der rund 400.000 dorthin geflohenen Palästinenser leben weiterhin am Rand der Gesellschaft. Es ist ihnen nicht erlaubt, einen akademischen Beruf zu ergreifen, auch verdienen sie oft weniger als Libanesen mit gleichem Ausbildungsstand. Ursprünglich hatten diese Vorgaben den Sinn, die Rückkehr der Palästinenser in ihre ehemaligen Gebiete zu erleichtern. Doch die Chancen, dass dies jemals möglich wird, schwinden. So sind die im Libanon lebenden Palästinenser größtenteils weiterhin vom UNRWA abhängig.
Dennoch will Kushner dessen Präsenz in der Region offenbar verringern. So drängte er "Foreign Policy" zufolge im Juni bei einem Besuch in Jordanien die dortige Regierung, den rund zwei Millionen dort lebenden Palästinensern den Flüchtlingsstatus abzuerkennen. Käme es dazu, hätte die Präsenz des UNRWA in dem Land keinen Sinn mehr. Die damit ebenfalls wegfallende finanzielle Unterstützung für Jordanien will Kushner unter anderem durch eine Umwidmung von US-Geldern, die bislang dem Hilfswerk zufließen, sowie durch Spenden aus den Golfstaaten hereinholen.
Ziel: Verstärkte Integration
Für Jordanien ist das ein riskanter Vorschlag. Das Land beherbergt nicht nur die einst aus Israel geflohenen Palästinenser und deren Nachkommen. Als direkter Nachbar Syriens hat das Land zudem über eine Millionen Kriegsflüchtlinge aufgenommen. Internationale Hilfen haben Jordanien bislang allerdings erst in Teilen erreicht. Nach UN-Angaben haben die Geldgeber erst ein Fünftel der benötigten knapp fünf Milliarden Euro für das laufende Jahr überwiesen. Würden die weggefallenen UNRWA-Gelder nicht unmittelbar kompensiert, geriete das ohnehin finanzschwache Königreich an den Rand des finanziellen Zusammenbruchs.
Kushner aber geht es nicht in erster Linie um Finanzen. Er hat etwas anderes im Blick: den Status der Palästinenser als Flüchtlinge. Diesen erkennt das UNRWA nicht nur nach der Staatsgründung Israels geflohenen Palästinensern zu, sondern auch deren Nachkommen. Könnten die Nachfahren der ehedem geflohenen Palästinenser nicht mehr auf den Flüchtlingsstatus zählen, so offenbar Kushners Kalkül, dann würden sie sich auch leichter in ihre jeweiligen Aufenthaltsländer integrieren. Eben dies, die verstärkte Integration in die Gastländer, strebt Kushner ebenfalls an.
Kritik der Palästinenser
Aus den Reihen der Palästinenser ernteten die nun bekannt gewordenen Pläne harsche Kritik. "Die USA wollen eine unverantwortliche, gefährliche Entscheidung treffen, und die ganze Region wird leiden", sagte die Politikerin Hanan Ashrawi, Mitglied im Exekutiv-Komitee der Palästinensischen Befreiungsorganisation (PLO). Auch Saeb Erekat, der palästinensische Chefunterhändler bei den derzeit auf Eis gelegten israelisch-palästinensischen Verhandlungen, kritisierte den Geist der nun veröffentlichten E-Mails. "Alles ist darauf angelegt, das Problem der palästinensischen Flüchtlinge aus der Welt zu schaffen", erklärte er.
Ähnlich sieht es Salah Abdel-Shafi, Leiter der Vertretungen der palästinensischen Autonomiegebiete in Österreich und Slowenien. Er plädierte in einem Interview mit dem NDR weiter für eine Zwei-Staaten-Lösung. "Es geht darum, diese Lösung umzusetzen, und das bedeutet die Beendigung der israelischen illegalen Besatzung der palästinensischen Gebiete", so Abdel-Shafi. "Nur dann wird es Frieden geben."
Sollte die Trump-Regierung ihre Pläne zum Flüchtlingsstatus der Palästinenser umsetzen, dürften viele Partner der USA irritiert sein. Schon der im Weißen Haus getroffenen Entscheidung, Jerusalem als Hauptstadt Israels offiziell anzuerkennen, mochten nur wenige Länder folgen. Ähnliche Vorbehalte könnte es auch mit Blick auf den Kurs von Jared Kushner geben. Offen ist, ob Trumps junger Sonderbeauftragter die palästinensisch-israelischen Beziehungen auf eine neue Grundlage stellen kann. Wahrscheinlicher ist, dass sein Kurs die internationale Gemeinschaft spaltet.