Kurt Beck: "Ich wollte es gar nicht glauben…"
13. Dezember 2017Am 19. Dezember jährt sich erstmals der Tag, an dem sich der bislang größte Terroranschlag in Deutschland ereignete. Zwölf Menschen riss der aus Tunesien stammende Anis Amri in den Tod, als er mit einem gestohlenen LKW in den Weihnachtsmarkt am Berliner Breitscheidplatz raste. Um die vielen zum Teil schwer verletzten überlebenden Opfer des Attentats und die Angehörigen der Toten kümmert sich seit März der frühere Ministerpräsident von Rheinland-Pfalz, Kurt Beck. Eine Aufgabe, die dem Sozialdemokraten sehr nahe geht.
Das ist auch nach neun Monaten spürbar, als er am Mittwoch in Berlin im Beisein des geschäftsführenden Bundesjustizministerministers Heiko Maas (SPD) seinen Abschlussbericht vorlegt. Darin fordert er deutlich bessere Entschädigungsleistungen, aber auch strukturelle Verbesserungen bei der schnellen Betreuung Betroffener von Terroranschlägen. Knapp eine halbe Stunde fasst Beck seine Eindrücke und Erfahrungen zusammen, die er in Gesprächen mit traumatisierten Opfern, Familienmitgliedern, aber auch körperlich unversehrten Augenzeugen gewonnen hat.
"Sie dürfen nicht suchend herumirren"
Viele seien traumatisiert und jeder Bericht über den Attentäter Anis Amri, Versäumnisse der Behörden oder andere Terroranschläge "reißt die Wunden der Menschen immer wieder auf". Eine der ersten Schlussfolgerungen müsse sein, dass nach einem Terroranschlag wie dem in Berlin von Polizei- und Rettungskräften eine gut sichtbare Anlaufstelle geschaffen werde. Man werde sicherlich nicht alle Fragen beantworten können, aber man müsse die Menschen aufnehmen. "Sie dürfen nicht suchend herumirren."
Genau das aber passierte nach dem Attentat auf dem Weihnachtsmarkt. Da seien Menschen auf der Suche nach Familienangehörigen und Freunden von Krankenhaus zu Krankenhaus gefahren. Die Identifizierung der Toten habe bis zu drei Tage gedauert. Beck erinnert an Rechnungen mit Mahnhinweisen, die Angehörige nach der Obduktion ihrer Verwandten erhalten hätten. "Ich wollte es gar nicht glauben, aber ich hatte einen solchen Brief in der Hand."
Terror-Opfer in Frankreich erhalten viel mehr Geld
Es sind auch solche Erlebnisse, die Opfer und Angehörige dazu veranlasst haben, vor kurzem einen offenen Brief an Bundeskanzlerin Angela Merkel zu schreiben. Darin ist von Behörden-Versagen die Rede, aber vor allem wird die aus Sicht der Betroffenen fehlende Anteilnahme der Politik beklagt. Er habe dem Kanzleramt immer wieder die "Stimmungslage" der Betroffenen mitgeteilt, sagt Beck. Anscheinend hat sich Merkel die Kritik zu Herzen genommen. Am Dienstag besuchte sie ohne vorherige Ankündigung den Ort des Terroranschlags.
Nachdrücklich setzt sich der Opfer-Beauftragte für eine bessere finanzielle und materielle Entschädigung der Betroffenen ein. Maximal 10.000 Euro können nahe Familienangehörige getöteter Terror-Opfer aus dem Härtefonds der Bundesregierung erhalten. In anderen Ländern sind die Leistungen deutlich höher, Frankreich zahlt bis zu 35.000 Euro. Beck rechnet nun fest mit einer Novellierung des Opferentschädigungsgesetzes. Eine entsprechende Initiative aus dem Bundestag gibt es bereits.
Kein Unterschied zwischen Deutschen und Ausländern
Künftig soll es nach den Vorstellungen von CDU/CSU, SPD, FDP und Grünen keine unterschiedliche Behandlung von Deutschen und Ausländern geben. Das geht aus dem Antrag der vier Fraktionen hervor: Es sei zu prüfen, ob die Leistungen der staatlichen Opferentschädigung allen von einem Terroranschlag in Deutschland Betroffenen in gleicher Höhe "und zwar unabhängig von ihrer Nationalität und Aufenthaltsdauer" zur Verfügung gestellt werden können. Die Toten vom Breitscheidplatz stammen aus Deutschland, Israel, Italien, Polen, Tschechien und der Ukraine.
Beck ist es bei aller für ihn nachvollziehbaren Kritik aber auch wichtig, auf die Hilfsbereitschaft der Bevölkerung hinzuweisen. Als zwei besondere Beispiele nennt er die Übernahme von Studienkosten und das Bereitstellen einer Ferienwohnung an der Nordsee. Am kommenden Dienstag, dem Jahrestag des Attentats, findet in der Gedächtniskirche auf dem Breitscheidplatz die zentrale Gedenkveranstaltung statt. Dann wird Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier bei einer religionsübergreifenden Andacht sprechen. Sein Vorgänger Joachim Gauck hat sich schon im Februar mit Opfer-Angehörigen getroffen. Eine Geste, die der Opfer-Beauftragte Beck ausdrücklich würdigt.