Kursk und Saporischschja: Jetzt zwei AKWs in Kampfzonen
Veröffentlicht 12. August 2024Zuletzt aktualisiert 12. August 2024Nach einem mutmaßlichen Angriff ist am Sonntagabend im von Russland besetzten Atomkraftwerk (AKW) Saporischschja im Süden der Ukraine ein Feuer ausgebrochen. Noch in der Nacht konnte der Brand in einem der Kühlsysteme des AKW vollständig gelöscht werden, teilte ein von Russland in der Region eingesetzter Beamter mit.
Der ebenfalls von der Regierung in Moskau eingesetzte Statthalter in Saporischschja, Jewgeni Balizki, behauptete nach einer Meldung der staatlichen russischen Nachrichtenagentur TASS, zuvor habe es einen ukrainischen Angriff auf die Umgebung des Kraftwerks gegeben. Es drohe allerdings keine Gefahr, da alle Blöcke des Kraftwerks abgeschaltet seien. Die Strahlungswerte seien im normalen Bereich. Am Montagmorgen teilte Balizki mit, die Sicherheitsvorkehrungen an allen Anlagen von strategischer Bedeutung in der Region seien auf Anordnung des russischen Präsidenten Wladimir Putin erhöht worden.
Von russischer Seite hieß es, eine ukrainische Kampfdrohne habe erhebliche Schäden an der Infrastruktur des Kraftwerks verursacht. Die Angaben können nicht unabhängig geprüft werden.
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj wiederum warf Russland vor, Feuer in dem Atomkraftwerk gelegt zu haben. Die Strahlungswerte seien zwar normal. "Aber solange die russischen Terroristen das Nuklearkraftwerk kontrollieren, ist und kann die Lage nicht normal sein", so Selenskyj. Er forderte eine sofortige Reaktion der Weltgemeinschaft und der Internationalen Atomenergiebehörde IAEA in Wien.
Russland hat das größte Kernkraftwerk Europas im Süden der Ukraine kurz nach Beginn seines Angriffskriegs erobert und hält es seither besetzt. Beide Seiten machen sich gegenseitig für wiederholte Angriffe auf das Kraftwerk oder Sabotage daran verantwortlich. Russland hat zuletzt immer wieder ukrainische Drohnenattacken beklagt. Wegen der Sicherheitsbedenken wurden die Reaktoren bereits 2022 heruntergefahren. Sie müssen aber weiter gekühlt werden, um einen Atomunfall zu verhindern. Auf dem Gelände sind Beobachter der IAEA stationiert.
Ukrainer stoßen bei Kursk weiter vor
Truppen der Ukraine setzen ihren vor knapp einer Woche gestarteten Vorstoß auf russischem Gebiet in der Region Kursk fort. Genaue Ortsangaben über das Vordringen wurden weder von russischer noch ukrainischer Seite gemacht, doch berichteten russische Militärblogger von schweren Kämpfen um zahlreiche Siedlungen.
In der Region Kursk gibt es ebenfalls ein Atomkraftwerk. Es befindet sich nahe der Stadt Kurtschatow, etwa 100 Kilometer von der russischen Grenze zur Ukraine entfernt. IAEA-Generaldirektor Rafael Grossi rief am Wochenende beide Seiten auf, sich maximal zurückzuhalten, um einen nuklearen Unfall mit potenziell ernsten Folgen zu vermeiden. Die zuständige Atomenergieagentur Rosatom sprach am Samstag von Normalbetrieb in Kursk, stoppte aber Baumaßnahmen an der Anlage.
In der Region Kursk sei die Ukraine mit mobilen Kampftruppen im Einsatz, melden russische Militärblogger. Die ukrainischen Soldaten würden immer wieder Frontlücken für schnellen Angriffe ausnutzen. Damit würden sie den russischen Einheiten große Probleme bereiten und ihnen schwere Schläge versetzen.
Zum eigentlichen Kampfgeschehen im Raum Kursk machte die ukrainische Generalität in Kiew nur wenige Angaben. Im Lagebericht heißt es lediglich, dass russische Fernartillerie und Kampfflugzeuge das Gebiet um Sumy ins Visier nahmen. Diese Zone gilt als Aufmarschgebiet und Nachschubstrecke für die ukrainischen Verbände in der Region Kursk.
Der amtierende Gouverneur der Region Kursk, Alexej Smirnow, teilte mit, dass weitere Mittel und Verstärkungen auf dem Weg seien. "Inzwischen unternehmen die Streitkräfte alles zum Schutz der Zivilbevölkerung." Am Samstag hatten die Behörden in Moskau die Evakuierung der Grenzregion von Kursk angekündigt. Insgesamt 76.000 Menschen sollten von dort in Sicherheit gebracht werden. Das russische Katastrophenschutzministerium errichtete Zeltlager in sicheren Gebieten.
Auch die Evakuierung von Teilen der Region Belgorod sei angeordnet worden, teilte Gouverneur Wjatscheslaw Gladkow mit. Grund seien Aktivitäten ukrainischer Streitkräfte auch in diesem Oblast. Die Region Belgorod grenzt an die Region Kursk. Bewohner eines ganzen Landkreises an der Grenze zur Ukraine sollen deshalb in Sicherheit gerbacht werden. "Ich bin überzeugt, dass alles organisiert verläuft. Hauptsache ruhig, ohne Panik", sagte Gladkow in einem Kurzvideo, das über soziale Netzwerke verbreitet wurde.
Weiter russischer Druck in der Ostukraine
Gefechte werden aber auch aus der Ostukraine gemeldet. Dort haben russische Truppen ihre Angriffe fortgesetzt. Schwerpunkte der Kampfhandlungen lagen rund um Torezk und Pokrowsk, wie der ukrainische Generalstab mitteilte.
Die heftigsten Kämpfe seien bei Pokrowsk am Rande des Donbass registriert worden. Insgesamt unternahmen die russischen Einheiten am Montagmorgen 26 Versuche, die ukrainischen Verteidigungslinien zu durchbrechen. Die Angriffe seien abgeschlagen worden. Eine unabhängige Bestätigung der Darstellungen ist nicht möglich.
Bei Torezk versuchten russische Truppen demnach einmal mehr zur Ortschaft Nju Jork vorzustoßen. Auch diese Angriffe seien abgewehrt worden, hieß es. Daneben sei die Stadt Torezk Ziel russischer Luftangriffe geworden.
Selenskyj kündigt Gegenschläge an
Der ukrainische Präsident Selenskyj kündigte eine baldige Antwort auf diese russischen Attacken an. "Wir werden mit Langstreckenangriffen auf russische Raketenabschussbasen und mit der entsprechenden Zerstörung der russischen Militärlogistik antworten", so Selenskyj.
Allerdings werde er erneut mit den Partnern der Ukraine sprechen müssen, um von ihnen die Erlaubnis zum Einsatz der von ihnen gelieferten schweren Waffen für Angriffe gegen Ziele auf russischem Staatsgebiet zu erhalten. "So wie die Luftverteidigung Leben schützt, so wird die Aufhebung der Beschränkungen für Langstreckenschläge Tausende von Leben retten."
Die Regierung in Kiew ringt bereits seit Monaten mit den westlichen Partnern um die Erlaubnis, Raketen und andere schwere Waffen gegen militärische und logistische Ziele innerhalb Russlands einzusetzen. Bisher kann das ukrainische Militär lediglich Drohnen aus eigener Produktion für derartige Angriffe nutzen. Die unbemannten Fluggeräte haben jedoch nur eine geringe Sprengkraft.
Zurückhaltende Reaktion aus Berlin
Deutschland ist von der Ukraine über die Details des Vorstoßes auf russisches Staatsgebiet offensichtlich nicht vorab informiert worden. Die Operation sei offenbar sehr geheim vorbereiten worden, heißt es von der deutschen Bundesregierung. Es habe keine Rückkoppelung gegeben. "Alles sieht bisher nach einem räumlich begrenzten Einsatz aus", so die Einschätzung des stellvertretenden Regierungssprechers Wolfgang Büchner.
Es wäre unklug, die militärische Lage vor Ort vom grünen Tisch in Berlin aus zu kommentieren oder zu bewerten. "Das gilt auch für den Einsatz spezifischer Waffensysteme", sagte Büchner, nachdem es unbestätigte Hinweise auf einen Einsatz deutscher Waffen bei der Offensive in Kursk gegeben hatte.
Das Bundesverteidigungsministerium machte allerdings deutlich, dass es keine grundsätzlichen Hinderungsgründe für einen Einsatz der von Deutschland gelieferten Waffen gibt. Das Völkerrecht sehe vor, dass sich ein verteidigender Staat auch auf dem Gebiet des Angreifers wehren darf. "Das ist eindeutig - auch aus unserer Sicht", sagte ein Sprecher des Verteidigungsministeriums.
Was den Bestand bereits gelieferter deutscher Waffen angeht, gebe es keinerlei Hindernisse. Da sei die Regierung in Kiew "frei in der Wahl ihrer Möglichkeiten", so der deutsche Ministeriumssprecher. Die Ukraine dürfe die Waffen nur im Rahmen des Völkerrechts einsetzen "und das ist gegeben".
AR/kle/hf (dpa, rtr, afp)