Neuer Raubkunst-Skandal?
31. Mai 2014Neue Transparenz in Sachen Nazi-Raubkunst: Kataloge des Auktionshauses Weinmüller aus der Zeit zwischen 1936 und 1944 können jetzt online in der Datenbank Lost Art eingesehen werden. Als Dokumente geben sie detailliert Auskunft über die damalige Provenienz der Kunstwerke. Die Geschäftsunterlagen waren im Frühjahr 2013 in einem Stahlschrank des Münchner Auktionshauses Neumeister entdeckt worden. Zum ersten Mal sind damit private Geschäftsunterlagen ins Netz gestellt worden. Ein Signal für die Branche, hofft Uwe Hartmann, Leiter der Arbeitsstelle für Provenienzforschung in Berlin.
Deutsche Welle: Laufen bei Ihnen, wie im Fall Gurlitt, die Fäden für alle Anfragen aus dem Ausland zusammen? Wie muss man sich das praktisch vorstellen?
Dr. Uwe Hartmann: Nehmen wir an, es ist der jüdische Einlieferer Z. aus München. Es ist ein Gemälde, das in dem Katalog des Auktionshauses Weinmüller genau beschrieben ist: Titel, Maler, Maße usw. Die Nachfahren oder die Anwälte wenden sich dann an uns und müssen belegen, dass sie die Nachfahren des Einlieferers sind und ein berechtigtes Interesse haben, den heutigen Verbleib und den Standort herauszufinden. Dann müssten wir natürlich anknüpfen an den Erwerber und würden den historischen Namen, soweit er sich identifizieren lässt, an diese Person weitergeben. Und dann müssten die Betroffenen versuchen, selbst zu recherchieren, ob es dort Nachfahren gibt.
Was ist denn jetzt auf Lost Art zu sehen? Was kann man dort online recherchieren?
Man kann nach Künstlern recherchieren, aber auch nach den Einlieferern. Wenn man weiß, dass die Familie x oder y in München gelebt hat und möglicherweise zu den Betroffenen gehört, die da über diese Auktionen ihre Kunstwerke weggeben mussten, dann kann man über die Datenbank Lost Art die einzelnen Werke, die dort zugeordnet sind, finden. Das ist das Wichtigste überhaupt gewesen bei diesen Weinmüller-Katalogen, die jetzt öffentlich einsehbar sind. Normalerweise sind vorne die Einlieferer mit B-Nummern anonymisiert. Einige dieser Nummern haben ein Sternchen und dann steht unten: Diese Einlieferer sind nicht arisch. Dann wissen wir sofort, dass da 1939 ein verfolgungsbedingter Hintergrund vorhanden war, das heißt, es handelt sich um jüdischen Vorbesitz.
Haben alle Auktionshäuser in der Zeit zwischen 1933 und 1945 so gearbeitet?
Eigentlich mussten in der Nazizeit alle Auktionshäuser so arbeiten. Die Pflicht zur Berichterstattung, was genau versteigert wird, die gab es. Und die war zunächst erlassen worden, um zu verhindern, dass Werke von lebenden jüdischen Künstlern versteigert wurden. Ich nehme an, dass vielfach die Bürokratie zu aufwendig wurde für die Auktionshäuser und dass sie lieber gleich alles, was sie versteigert haben, der Behörde vorgelegt haben – vielleicht ein bisschen im vorauseilenden Gehorsam.
Welche Rolle hat Adolf Weinmüller als Kunsthändler in München und im Dritten Reich gespielt? War er auch ein strammer Nazi, mit entsprechenden Kontakten in höchste Parteikreise?
Man kann schon sagen, dass Adolf Weinmüller an diesem traditionsreichen Kunst- und Handelsort München ein energisch emporstrebender Seiteneinsteiger war, der die politischen Verhältnisse des Nationalsozialismus ganz zielstrebig und skrupellos für sich genutzt hat. Er ist schon 1931 in die Partei eingetreten. Da ist er nicht der einzige, aber für München ist er der, der das mit einer Monopolstellung im Kunsthandel verbinden konnte.
Wir haben das in anderen Städten auch, aber nicht so deutlich, dass die ausschließliche "Verwertung" der nach 1938 beschlagnahmten Kunstgegenstände aus jüdischem Besitz fast ausnahmslos über sein Haus versteigert wurde. Die NS-Behörden, die Gestapo, die Finanzbehörden überwiesen all jene Objekte, die ihrer Meinung nach einen Kunstwert aufwiesen, an diese spezialisierten Kunsthäuser: Lange in Berlin und eben Weinmüller in München.
Wurden denn viele Geschäftsunterlagen in der Nachkriegszeit einfach beseitigt?
Davon ist auszugehen. Es ist die Frage, welche deutschen Auktionshäuser, welche Unternehmen solche Geschäftsunterlagen in den Fünfziger Jahren vernichtet haben. Wahrscheinlich ist, dass sie über den langen Zeitraum in vielen Häusern ins Altpapier kamen. Im aktuellen Fall Weinmüller lagen sie Jahrzehnte irgendwo unbeachtet im Keller. Um so besser ist es, aus der Perspektive unserer Arbeit, dass sie sich erhalten haben.
Uwe Hartmann ist Leiter der Arbeitsstelle für Provenienzforschung beim Institut für Museumsforschung der Staatlichen Museen zu Berlin. Er war Mitglied der Taskforce im "Fall Gurlitt" zum Fund zahlreicher Kunstwerke beim Münchner Sammler Cornelius Gurlitt.
Das Gespräch führte Heike Mund.