Kunst aus dem KZ
26. Januar 2016DW:Herr Kaumkötter, Sie haben vielen verfolgten Menschen ein Denkmal geschaffen, die ihre Kunst trotz der Barbarei nicht aufgegeben haben. Warum dieses Anliegen?
Jürgen Kaumkötter: In Osnabrück geboren, habe ich miterlebt, wie das Felix-Nussbaum-Haus aufgebaut wurde. Ich habe dort Kunstgeschichte studiert und mich sehr intensiv mit dem Werk dieses Malers beschäftigt. Im Jahr 1999/2000 bin ich dann das erste Mal in Auschwitz gewesen, um ein ganz anderes Projekt zu besprechen. Die damalige Direktorin der Gedenkstätte sagte dann irgendwann: "Herr Kaumkötter, kennen Sie eigentlich unsere Kunstsammlung? Sie kommen doch aus dem Kunstmuseum." Ich habe das erstaunt verneint und was ich dann gesehen habe, hat mein Leben verändert. Das wurde dann zu einem prägenden Thema. Dieser Ort verändert Menschen, die sich damit beschäftigen, dass man bewusster mit seiner Gegenwart umgeht. Und so ist es bei mir zu einem Lebensthema geworden. Also es war kein absichtlicher Entschluss am Anfang, sondern es ist eine Entwicklung gewesen.
Sie betonen immer wieder, dass es wichtig sei, die Werke dieser Künstler nicht nur als historische Zeugnisse, sondern unter künstlerischen Aspekten zu beurteilen. Wieso ist Ihnen das so wichtig?
Wenn es ein Zeugnis ist, wird es zu einem juristischen Asservat und dann kann man die Eigenständigkeit eines Objektes oder Kunstwerkes nicht mehr wirklich schätzen. Es sind oft Künstler gewesen - und die wollten natürlich auch Kunst schaffen. Und sie wollten nicht nur unter der Perspektive der Nazis, der Unterdrücker und Verfolger, einfach zu Opfern reduziert werden, sondern eigenständige Menschen sein.
Welche Art von Kunstwerken ist da im Macht- und Unterdrückungsbereich des nationalsozialistischen Terrors entstanden?
Es gibt natürlich Zeugnisse, Darstellungen des Grauens und des Terrors von Menschen. Das ist aber interessanterweise nur ein kleiner Teil. Der weit größere Teil sind Porträts – also das Individuum festhalten vor dem Vergehen. Viele Menschen waren sich damals dieser fürchterlichen Unterdrückung bewusst, dass das Ende nah sein kann, dass der Tod sie jeden Moment ereilen könnte. Deshalb war es wohl vielen Menschen wichtig, dass etwas übrig bleibt. Dass etwas von ihnen auch noch nach dem Tode existiert. Die Nazis versuchten ja nicht nur die Menschen, sondern alles, also auch jede Erinnerung an sie zu tilgen. So ist das Porträt ein ganz besonderes Motiv dieses Widerstandes.
Was bedeutet es, wenn Künstler selbst im Angesicht des drohenden Todes noch malen, zum Pinsel, zum Bleistift, zur Kohle greifen?
Es ist ein Akt der Selbstbehauptung. Wenn sie Bilder aus den Lagern und den Ghettos Revue passieren lassen, dann sehen sie eine Entindividualisierung der Menschen. Alle haben diese "Zebra-Anzüge" getragen, allen wurden die Haare geschoren. Auch, um die Häftlinge zu erkennen, falls jemand mal fliehen sollte. Man hat den Häftlingen dadurch auch die Würde genommen. Malen als Selbstbehauptung, das ist das, was Kunst bewirken kann.
In Ihrem bemerkenswerten Buch "Der Tod hat nicht das letzte Wort" erinnern Sie an zahlreiche Maler und zeigen ihre Werke. Welcher Künstler oder welches Bild hat Sie am heftigsten berührt?
Wenn Sie das Buch ansprechen: das Titelbild. Es zeigt das Porträt eines Mädchens, einer jungen Frau – eine Schönheit. Der Maler Jan Markiel hat es geschaffen aus Dankbarkeit für ihre Unterstützung und Hilfe. Sie war die Tochter des Bäckers in Auschwitz. Die Familie hat Medikamente ins Brot eingebacken und auf diese Weise ins Lager geschmuggelt.
Dieser Jan Markiel war in einem Außenkommando und musste dieses Brot abholen. Aus Dankbarkeit gegenüber dieser Familie hat er dieses Bild gemalt und ihr geschenkt. Es ist vielschichtig: Man hat zunächst mal ein schönes Porträt – fast eine Heilige, die er dargestellt hat. Dann hat man diese ganze Geschichte und das Wissen darum. Das berührt mich. Ich habe das Bild zusammen mit einigen Freunden kaufen können und unmittelbar danach der Gedenkstätte Auschwitz geschenkt. Immer wenn ich dieses Bild sehe, löst es bei mir sehr viel aus.
Im Deutschen Historischen Museum in Berlin ist gerade die Ausstellung "Kunst aus dem Holocaust" gestartet. Wie bewerten Sie die?
Großartig. Endlich ist einem großen deutschen Nationalmuseum eine Ausstellung gelungen, die die Werke der Opfer und Häftlinge als eigenständige Kunst zeigt. Meine Idee einer solchen Ausstellung mit Kunstwerken aus Auschwitz, die ich 2005 gemacht habe, wurde vom Deutschen Historischen Museum abgelehnt. Sie wurde dann Gott sei Dank im Zentrum Judaicum gezeigt. Dieser Ort hat damals die Ausstellung vor Missverständnisssen geschützt. In den vergangenen zehn Jahren hat sich aber viel getan. Eine Sache ist die, dass die Überlebenden bald nicht mehr da sind. Was passiert dann? Dann werden höchstwahrscheinlich die Kunstwerke, die literarischen Nachlässe, die Orte selber eine größere Bedeutung bekommen. Es wird eine Akzentverschiebung geben. Das mag ein Grund dafür sein, dass das Deutsche Historische Museum jetzt diese Ausstellung macht. Bundeskanzlerin Merkel hat mit einer sehr bewegendenden Rede die Schau eröffnet und das zeigt auch die Wertschätzung.
Vor 71 Jahren wurde das Konzentrationslager Auschwitz befreit. Wieso ist es auch im 21. Jahrhundert noch wichtig, einen Blick auf Künstler und Werke zu werfen, die im Terror entstanden sind?
Es wird zwar immer wiederholt, aber es ist auch immer richtig. Man kann es nicht oft genug wiederholen, damit so etwas nicht noch mal passiert. Dieser Zivilisationsbruch, die enthemmte Gewalt gegen eine ganze Bevölkerung, eine Minderheit, die sich nicht wehren konnte, das zu erklären und die Strukturen aufzuzeigen, wie so etwas anfängt, ist Verpflichtung genug.
Jürgen Kaumkötter ist Kunsthistoriker und Buchautor. Der Kurator am Zentrum für verfolgte Künste in Solingen hat zahlreiche Ausstellungen initiiert und geplant.
Das Interview führte Klaus Krämer.
Literaturhinweis: "Der Tod hat nicht das letzte Wort. Kunst in der Katastrophe 1933-1945", Verlag Galiani Berlin, 384 Seiten