Kunstbiennale Venedig 2013
Die Kunstbiennale von Venedig ist eröffnet. Hier präsentieren einzelne Länder ihre spannendsten Künstler. Doch 2013 ist alles anders. Deutschland und Frankreich tauschen die Pavillons.
Gipfeltreffen der zeitgenössischen Kunst
Il Palazzo Enciclopedico - der Enzyklopädische Palast. Unter diesem Motto startet die 55. Kunstbiennale mit mehr als 150 Künstlern aus 37 Ländern. Bis Ende November ist Venedig wieder Mittelpunkt der zeitgenössischen Kunstszene. Ein Novum gibt es in diesem Jahr in den "Giardini", dem Hauptaustragungsort der Biennale: Frankreich und Deutschland tauschen die Länderpavillons.
Frankreich im Deutschen Pavillon
Der Deutsche Pavillon: ein schwerer Brocken. Viele Künstler mühten sich schon mit der monumentalen Architektur und der Historie des Gebäudes ab, das die Nationalsozialisten einst für Propagandazwecke missbrauchten. In diesem Jahr ist Frankreich zu Gast im Deutschen Pavillon. Die Grande Nation hat Anri Sala, einen in Berlin lebenden albanischen Künstler eingeladen, das Haus zu gestalten.
Musik trifft Kunst
"Ein Konzert für die linke Hand für Klavier und Orchester" schrieb der französische Komponist Maurice Ravel 1930. Das war nach dem Ersten Weltkrieg, bei dem viele Pianisten die rechte Hand verloren hatten. Anri Sala macht daraus eine Filminstallation. Der Titel "Ravel Ravel Unravel" spielt mit der Bedeutung des englischen Begriffs "ravel" - "verwirren".
Deutschland im Französischen Pavillon
Im Französischen Pavillon präsentiert Deutschland gleich vier internationale Künstler. Keiner von ihnen hat einen deutschen Pass. Die Internationalisierung des Kunstbetriebs ist ein Thema der Kuratorin Susanne Gaensheimer, die schon 2011 für den Deutschen Pavillon verantwortlich war. Damals gewann man den Goldenen Löwen mit einer Hommage an Christoph Schlingensief.
Superstar der Kunstszene: Ai Weiwei
Die Einladung, Deutschland bei der Biennale zu vertreten, nahm Ai Weiwei gerne an. Er gehört zu den wichtigsten Künstlern der Gegenwart. Vielen Chinesen gilt der Bildhauer, Aktions- und Installationskünstler als soziales Gewissen, weil er gesellschaftliche Probleme in seiner Heimat thematisiert. Doch die Biennale startete jetzt ohne ihn. Der Regimekritiker bekam keine Ausreisegenehmigung.
Wild wuchernder Kosmos
Eine raumfüllende Installation aus mehr als 800 Hockern hat Ai Weiwei für die zentrale Eingangshalle des Pavillons entworfen: Symbol für das Verhältnis von Individuum und Gesellschaft, aber auch für die wild wuchernden chinesischen Megastädte. Ai Weiwei durfte schon zum Aufbau nicht nach Venedig reisen. Langjährige Mitarbeiter koordinierten alle Details per Skype mit Peking.
Tradition und Moderne
"Holz ist das Material, das dem Menschen am nächsten steht", sagt Ai Weiwei. Die Hocker stammen aus verschiedenen Regionen in China und sind rund 80 Jahre alt. Ai Weiwei bezog sie bei Sammlern und Antiquitätenhändlern. Sie wurden in den Familien von Generation zu Generation vererbt. Seit der Kulturrevolution sind die Hocker nicht mehr Unikate aus Holz, sondern Massenware aus Kunststoff.
Afrika von innen: Santu Mofokeng
90 Prozent der Bilder, die wir aus Afrika kennen, sind von Weißen gemacht. Santu Mofokeng fotografiert aus der Innenperspektive. Der 1956 geborene Südafrikaner wuchs in Soweto auf und erlebte hautnah die schlimmste Phase der Apartheid. Heute ist er einer der bedeutendsten afrikanischen Fotografen. Sein vielschichtiges Œuvre erlaubt einen ungewöhnlichen Blick auf die südafrikanische Gesellschaft.
Licht, Schatten und Spiritualität
"In der Sesotho-Sprache bedeutet Schatten nicht die Abwesenheit von Licht. Es meint etwas viel Tiefgreifenderes. Schatten hat etwas zu tun mit Aura, Würde und Selbstvertrauen", sagt Santu Mofokeng. Seit dem Ende der Apartheid befasst er sich mit dem Thema Religiosität und Spiritualität in der südafrikanischen Gesellschaft. In Venedig zeigt er nun Fotografien dazu.
Kompromisslose Filmkunst: Romuald Karmakar
Der Filmemacher Romuald Karmakar, Sohn einer Französin und eines Iraners, nahm bereits mehrmals an den Filmfestspielen in Venedig teil. Neben Spielfilmen realisiert er Dokumentar- und Kunstfilme. Seine radikale Ästhetik spiegelt sich in seinem Credo wider: "The easy way is always mined" – der einfache Weg steckt voller Fallen.
Vor dem Sturm
"Waiting for Sandy" - rauschende Bäume künden den verheerenden Wirbelsturm an, der 2012 die USA heimsuchte. Romuald Karmakar filmte in einer einzigen Einstellung durch ein Fliegengitter. Dadurch entsteht eine seltsam abstrakte und zugleich bedrohliche Stimmung. Der Film ergänzt die beiden anderen Beiträge, in denen sich Karmakar mit radikalen Bewegungen auseinandersetzt.
Wanderin zwischen den Welten: Dayanita Singh
"Im Indischen Pavillon würde ich niemals ausstellen", sagt Dayanita Singh. "Ich bin froh, dass die Kategorie Nationalität im Deutschen Pavillon keine Rolle spielt." Die Inderin verbringt die meiste Zeit ihres Lebens auf Reisen. Sie bezeichnet sich selbst nicht als Fotografin, sondern als "Bookmaker". Ihre Fotobücher produziert sie seit Jahren beim deutschen Steidl Verlag in Göttingen.
Zwischen Traum und Wirklichkeit
"Die Stärke der Fotografie liegt nicht im einzelnen Bild", glaubt Dayanita Singh. "Sondern vielmehr in der Zusammenstellung der Bilder". Und in dem, was man weglässt. In Venedig zeigt sie Foto-Projektionen aus ihrem riesigen Archiv. Im Mittelpunkt der Arbeit steht Mona, ein indischer Eunuch aus Delhi, den Dayanita Singh seit Jahren begleitet und fotografiert.
Grenzenlose Kunst
Die 55. Biennale von Venedig zeigt stärker denn je, dass der zeitgenössische Kunstbetrieb längst keine Grenzen mehr kennt. Der Pavillonwechsel zwischen Frankreich und Deutschland ist nur ein Beispiel dafür, wie überholt das Prinzip der nationalen Repräsentation heute erscheint. Den meisten Akteuren ist die künstlerische Freiheit wichtiger als die nationale Zugehörigkeit.