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Kunst für eine bessere Welt

Sabine Oelze6. September 2012

Eine ganze Stadt appelliert an die Einhaltung der Menschenrechte. Mit Kunst: Die Ausstellung "Newtopia" holt internationale Künstler nach Mechelen. Und im November eröffnet das erste Museum für Menschenrechte.

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zugeliefert und fotografiert von: Sabine Oelze Thema: Kunst und Menschenrechte Die Kaserne Dossin der belgischen Stadt Mechelen diente während des NS- Regimes als Sammellager für Juden und Zigeuner. Eine neue Gedenkstätte und eine Ausstellung mit zeitgenössischer Kunst erinnern an diese Zeit und appellieren an die Menschenrechte. Die Weltkugel von Mona Hatoum zeigt in alarmierendem Rot, wo sich auf der Welt die Konfliktherde befinden
Kunst und MenschenrechteBild: Sabine Oelze

Noch ist das Museum für die Menschenrechte eine leere Hülle. Der Neubau soll im November 2012 eingeweiht werden. Die geplante Ausstellung will eine neue Form des Erinnerns lehren. Eines Erinnerns, das nicht nur zurückblickt, sondern auch nach vorne schaut.

Die belgische Kleinstadt Mechelen hat viel vor. Sie will die Bedeutung der Menschenrechte, den wohl größten Schatz des 20. Jahrhunderts, feiern. In diesem Rahmen zeigt die Stadt in Zusammenarbeit mit Amnesty International und Human Rights Watch die internationale Ausstellung "Newtopia: The State of Human Rights". 70 internationale Künstler zeigen ihre Sicht auf die Menschenrechte und wie unterschiedlich Staaten und Regierungen mit ihnen umgehen.

Vielschichtiges Erinnern

Die Stadt Mechelen blickt dabei auch kritisch auf die eigenen düsteren Kapitel ihrer Geschichte zurück: 1942-1944 spielten sich in der beschaulichen Kleinstadt schreckliche Tragödien ab. Mehr als 25.000 Juden und Sinti und Roma aus den Ballungsgebieten Brüssel und Antwerpen wurden in den engen Baracken der Kaserne Dossin zusammengepfercht, um dort auf den Weitertransport per Eisenbahn nach Auschwitz-Birkenau zu warten.

"Die meisten der deportierten Personen erhielten in Auschwitz nicht einmal eine Stammnummer. Sie wurden wie ein Stück Vieh behandelt und unmittelbar nach ihrer Ankunft in den Gaskammern ermordet“, erzählt Herman van Goethem. Er ist der zukünftige Kurator des Museums für die Menschenrechte und hat in den frisch renovierten Räumen der ehemaligen Kaserne Dossin eine Gedenkstätte eingerichtet.

Zu sehen sind Dokumente, eine kleine Auswahl der Hinterlassenschaft von 8.000 Juden. Zeugnisse, Briefe, Tagebücher, Kinderspielzeug. Nur durch Zufall wurden sie nicht vernichtet, ein Lagerleiter hatte sie aufbewahren lassen.

Brief einer deportierten Jüdin mit Zeichnung Foto: Sabine Oelze
Der Brief einer deportierten JüdinBild: Sabine Oelze

Die Ausstellung gibt den Opfern der Massenvernichtung ein Gesicht. In Mechelen ist man sich den Gefahren der Historisierung des Holocaust bewusst. Es soll verhindert werden, dass die Vergangenheit, die eben noch von deren Zeitgenossen bezeugt und "erzählt" werden konnte, als Geschichte abgehakt werden kann. "Wir haben vor allem Schulklassen, die uns besuchen. Deshalb sind wir verpflichtet, eine Brücke von der NS-Zeit ins Hier und Jetzt zu schlagen“, sagt van Goethem.

Das Museum ist ein Experiment. Ziel ist es, nicht nur den Holocaust, sondern auch die Bedeutung der Menschenrechte heute zu verdeutlichen. Kaum ein Thema ist derzeit so virulent wie dieses: Nach dem arabischen Frühling gilt es nicht nur demokratische Verfassungen, sondern auch den Geist der Demokratie in den Ländern zu verankern.

Wie Künstler die Menschenrechte zeigen

Damit ist es vielerorts nicht so weit her. Organisationen wie Amnesty International und Human Rights Watch haben herausgefunden, dass in 91 Ländern der Erde die Menschenrechte verletzt werden. Von Bürgerrechten, sozialen, ökonomischen und kulturellen Rechten, von Frieden, Gleichheit oder Gerechtigkeit sind die meisten der 70 Künstler, die im Rahmen der Ausstellung "Newtopia" ihre Werke zeigen, Lichtjahre entfernt.

Die Kuratorin Katerina Gregos will die ganze Bandbreite des Themas durch die Kunst aufarbeiten. Die Hälfte der Teilnehmer kommt aus nichtwestlichen Ländern wie China, Russland oder den arabischen Staaten. Ali Ferzat ist einer der bekanntesten Karikaturisten der arabischen Welt. In seiner Heimat Syrien ist er selber vor kurzer Zeit Opfer der Verletzung der Menschenrechte geworden: Weil er dem Assad-Regime zu gefährlich wurde, brachen ihm Sicherheitskräfte als "Warnung" die Finger.

Kunst gegen Einschüchterung und Ächtung

Taysir Batniji kann als Palästinenser, der im Gaza-Streifen geboren wurde, nicht zurückkehren in seine Heimat: die West Bank. Um die permanente Situation der Belagerung zum Thema zu machen, hat er einen Fotografen beauftragt, israelische Wachtürme auf palästinensischem Gebiet zu fotografieren.

Karikatur von Ali Ferzat Foto: Sabine Oelze
Der Syrier Ali Ferzat wurde vom Assad-Regime für seine bissigen Karikaturen bereits in die Schranken gewiesen.Bild: Sabine Oelze

Ironisch dokumentiert Taysir Batniji eine weitere Praxis, die Palästinensern zu schaffen macht: Er hat Häuser fotografiert, die während der militärischen Angriffe Israels auf den Gaza-Streifen 2008-2009 zerstört und nicht wieder aufgebaut wurden. Die Installation ist voller Zynismus, preist Batniji doch wie ein Immobilienmakler die Qualitäten der unbewohnbaren Ruinen an.

"Hot Spot" hat Mona Hatoum ihre aus Stahlnetz gefertigte Kugel genannt. Sie ist mit Neondraht überzogen, in leuchtendem Alarm-Rot sind die Konturen der Kontinente nachgezeichnet. Wie ein Mahnmal ruht die Kugel auf dem Boden und lässt an Katastrophen und Konfliktherde denken, die auf der Welt schwelen. Die Ukrainerin Nikita Kadan setzt sich in ihren filigranen Zeichnungen auf Porzellan mit den Foltermethoden in ihrer Heimat auseinander.

Festung Europa

Für Westeuropäer ist es vermeintlich leichter, den Zeigefinger zu erheben. Menschenrechte werden allerdings auch in direkter Nähe mit Füßen getreten. Der Berliner Künstler Thomas Locher untersucht in seinen großformatigen Wandtafeln, ob die Charta der Menschenrechte überhaupt überall funktionieren kann - gerade in den Ländern, in denen es kein Rechtssystem nach westlichem Vorbild gibt.

Porzellanteller, auf dem eine Frau mit einem Sack über dem Kopf dargestellt ist. Foto: Sabine Oelze
Nikita Kadan zeigt, welche Foltermethoden in der Ukraine en vogue sind.Bild: Sabine Oelze

Thomas Kilpper erinnert an die Flüchtlingsdramen, die sich vor der süditalienischen Insel Lampedusa abspielen, wenn dort überfüllte Schiffe ankommen oder kentern. Deshalb versucht der Künstler einen Leuchtturm zu bauen, um die Orientierung zu erleichtern.

Den Menschenrechten haftet in der Gesellschaft ein eher negatives Image an. Auch das dokumentiert diese Ausstellung. Nur wenige Künstler wandern auf dem schmalen Grat von ernster Auseinandersetzung und spielerischem Augenzwinkern. Einer, der mehr als ein Hingucken verdient, ist der Spanier Fernando Sànchez Castillo. Er filmte zwei Wasserwerfer, die normalerweise dazu da sind, um Demonstranten brutal auseinanderzutreiben. Vor seiner Kamera verwandeln sie sich in verliebte Riesenkäfer, die eine Art Flirt-Ballett aufführen. Zu klassischer Musik fahren die gepanzerten Wagen im Gleichklang. Der Wasserstrahl, den sie in die Luft speien, wirkt nicht messerscharf, sondern zärtlich wie ein Sonnenstrahl, der sein Gegenüber umschmeichelt. So bleiben die Menschenrechte nicht nur ferne Utopie, sondern es umflort sie auch ein Hauch von Romantik.