Kuba: der große Aufbruch
24. Februar 2016Die vielen Baustellen auf Havannas Straßen fallen rasch ins Auge. Immer wieder sieht man Arbeiter, die damit beschäftigt sind, die löchrige Asphaltdecke zu flicken. Ein Taxifahrer erklärt lachend: "Obama soll in kein Loch fallen, deswegen wird hier gerade so viel gebaut." Womöglich stimmt es sogar, dass die Ankündigung des amerikanischen Präsidenten, Kuba im März zu besuchen, zu den Ausbesserungsarbeiten geführt hat. Nachprüfen lässt es sich nicht. Klar ist indes, dass die Kubaner große Erwartungen mit dem Treffen von Obama und Castro verbinden.
Obwohl das Wirtschaftsembargo noch immer in Kraft ist, versuchen die beiden so ungleichen Länder ganz allmählich ihre Beziehungen zu normalisieren. Auf kubanischer Seite schwingt dabei jedoch auch die Sorge mit, vom großen Nachbarn im Norden vereinnahmt zu werden. "Die Menschen haben Angst, dass die USA sie einfach überrollt", sagt Zuleica Romay, sie ist Direktorin der gerade zu Ende gegangenen Buchmesse in Havanna - einer Messe, die weltweit einzigartig sein dürfte. Das hat nicht wenig mit dem Austragungsort zu tun: Die Bücherstände der Verlage befinden sich in den alten weiß gestrichenen Gewölben einer gigantischen Festung, der "Fortaleza de San Carlos de la Cabana".
Lesen heißt wachsen
Alljährlich im Februar machen sich hunderttausende Kubaner auf den Weg zur Festung. "Leer es crecer" - "Lesen heißt wachsen" - steht an den Infoständen überall auf dem Gelände der Burg. Kubas Wirtschaft liegt zwar darnieder, aber auf ihr Bildungssystem sind die Kubaner noch immer stolz - und das zu Recht. Nirgendwo sonst in Lateinamerika und der Karibik ist der Lesehunger so groß.
Von der intellektuellen Neugier der Kubaner fühlt sich die Berlinerin Michi Strausfeld schon lange angezogen. Seit 40 Jahren bringt sie lateinamerikanische Literatur nach Deutschland. Auf der Buchmesse sucht sie zusammen mit manch anderem nach dem besonderen Roman, der von der Wendezeit in Kuba erzählt. "Die Buchläden sind wie üblich leer. Das Wenige, was erscheint, erscheint zur Buchmesse. Und deshalb stürzen alle Kubaner zur Messe und versuchen, dort ihre Bücher zu kaufen", erklärt sie den Ansturm. Danach werde es schwieriger, an Bücher zu kommen. "Ob es eine Nachauflage gibt, weiß man ja nie."
Eklatante Engpässe
Für Michi Strausfeld wird es eine mühsame und schwierige Suche. Viele kubanische Autoren bevorzugen die kurze Form und schreiben mehr Erzählungen und Gedichte als Romane. Hinzu kommt, dass die staatliche Verlagsindustrie subventioniert wird, die finanzielle Unterstützung jedoch zusehends geringer ausfällt. Auch deswegen leiden die Verlage immer wieder unter eklatanten Engpässen. Häufig fehlt es am Elementarsten: am Papier. Der Lyriker David Curbelo, der für das Rahmenprogramm der Messe zuständig ist, erklärt das mit der Abhängigkeit von Importen: "Das Problem ist, dass wir das Papier einführen müssen. Vor zwei Jahren haben wir versucht, das Papier in Zusammenarbeit mit Frankreich selbst herzustellen. Aber das hat nicht funktioniert, die Qualität war unzureichend. Und so haben wir es wieder sein lassen. Alle Materialien, die für die Buchproduktion notwendig sind, werden importiert: die Tinte, das Papier, sogar die Computer."
Immer wieder mangelt es am Geld für die teuren Importe. Die Auswirkungen stechen auf der Messe ins Auge. Selbst die Regale der namhaftesten kubanischen Verlage sind nur spärlich bestückt. Aber Curbelo hofft auf rasche Besserung: "Das Problem ist, dass wir in diesem Jahr große Produktionsengpässe hatten. Viele der Titel, die an den Ständen sein sollten, sind noch nicht angekommen. Leider können wir die Messe nicht verschieben und nur die Bücher ausstellen, die uns erreichen. Wahrscheinlich gibt es morgen und übermorgen mehr."
Deutsche Geschenke
Am deutschen Gemeinschaftsstand, der von der Frankfurter Buchmesse und dem Goethe-Institut organisiert wird, hat man solche Sorgen nicht. Gezeigt wird eine Kollektion, die einen Überblick über die aktuelle deutschsprachige Produktion vermittelt: Die Finalisten des Deutschen Buchpreises, Wörterbücher und Lernhilfen, Kinderbücher, moderne Klassiker, einige der Titel, die als schönste Bücher prämiert wurden, auch spanische Übersetzungen deutscher Gegenwartsautoren sind zu haben - und all das umsonst, denn die deutschen Aussteller überlassen die Bücher nach den Messetagen den kubanischen Lesern als Geschenk.
An den einheimischen Bücherständen treffen wie prognostiziert tatsächlich nach und nach neue Bücherpakete ein. Beim wichtigsten Verlag für fremdsprachige Literatur Arte y Literatura erscheint George Orwells "1984". Zu Beginn der 1960er Jahre gab es schon einmal eine kubanische Ausgabe des Klassikers. Es waren die freien Jahre, unmittelbar nach der Revolution. Danach aber änderte sich vieles und das Buch, das von der Zerstörung des Menschen durch eine totalitäre Staatsmaschinerie erzählt, verschwand aus der kubanischen Öffentlichkeit. Dass es jetzt wieder zu haben ist, lässt sich durchaus als Ausdruck einer zunehmenden Offenheit lesen.
Chronik des kubanischen Lebens
Davon profitieren auch die kubanischen Schriftsteller. Der bekannteste und international erfolgreichste unter ihnen, Leonardo Padura, hat mit seinen Büchern eine Art Chronik des kubanischen Lebens seit der Revolution in den 1950er Jahren verfasst – ohne die Schattenseiten auszusparen. Er kennt die Bedingungen einer Autorenexistenz auf der Karibikinsel. "Der kubanische Schriftsteller bewegt sich in einem Spiel zwischen dem, was er sagen darf, und dem, was er nicht sagen darf", erklärt er. "Aber der Bereich dessen, was eigentlich nicht ausgesprochen werden soll, wird immer mehr von den Schriftstellern erschlossen. Ich selbst glaube, dass ich es mittlerweile geschafft habe, alles zu sagen, was ich sagen will, allerdings in einer künstlerischen Form."
Die Spielräume sind also größer geworden in und um Havanna. Aber die Kubaner wissen auch, wo die Grenzen sind: Sie dürfen die Missstände im Land kritisieren, nicht jedoch die Ablösung der Regierung verlangen. Die kommunistische Partei bleibt vorerst unantastbar.