CDU-Chefin will "Meinungsmache" regulieren
28. Mai 2019Annegret Kramp-Karrenbauer will über Regeln für "Meinungsmache" im Internet in Wahlkampfzeiten diskutieren. Das sagte die Parteivorsitzende der CDU nach der Gremiensitzung ihrer Partei. Hintergrund ihrer Äußerungen war ein Wahlaufruf einer Reihe von YouTubern vor den Europawahlen, der sich insbesondere gegen CDU und SPD richtete, sowie das millionenfach geklickte YouTube-Video "Die Zerstörung der CDU".
Diskussion über Regeln für digitalen Bereich
"Was wäre eigentlich in diesem Lande los, wenn eine Reihe von, sagen wir, 70 Zeitungsredaktionen zwei Tage vor der Wahl erklärt hätten, wir machen einen gemeinsamen Aufruf: Wählt bitte nicht CDU und SPD. Das wäre klare Meinungsmache vor der Wahl gewesen", sagte Kramp-Karrenbauer. Ein solcher Aufruf hätte eine heftige Debatte in diesem Land ausgelöst.
"Und die Frage stellt sich schon mit Blick auf das Thema Meinungsmache, was sind eigentlich Regeln aus dem analogen Bereich und welche Regeln gelten eigentlich für den digitalen Bereich, ja oder nein", so die 56-Jährige weiter. Dies sei eine fundamentale Frage, "über die wir uns unterhalten werden, und zwar nicht wir in der CDU, mit der CDU, sondern, ich bin mir ganz sicher, in der gesamten medienpolitischen und auch demokratietheoretischen Diskussion der nächsten Zeit wird das eine Rolle spielen."
Kritik aus allen anderen Parteien
Die SPD erteilte dieser Einschätzung umgehend eine Absage. "Das ist doch absurd. Niemand würde sich aufregen, wenn ein Schauspieler oder ein Sportler eine Wahlempfehlung abgibt", sagte SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil in Berlin. "Wenn Frau Kramp-Karrenbauer jetzt ernsthaft plant, irgendwie gesetzlich gegen YouTuber vorzugehen, wird das mit meiner Partei ganz sicher nicht zu machen sein."
Der FDP-Vorsitzende Christian Lindner schrieb bei Twitter: "@akk erwägt die Regulierung von Meinungsäußerungen vor Wahlen... Das kann ich kaum glauben. Wir brauchen im Gegenteil mehr offene Debatten, auch in Sozialen Medien."
Der Parlamentarische Geschäftsführer der Linken-Fraktion im Bundestag, Niema Movassat, forderte Kramp-Karrenbauer zum Rücktritt auf: "Die Äußerung der CDU Vorsitzenden AKK heute zu Äußerungen von Influencern ist ein beispielloser Angriff auf die Meinungsfreiheit. 70 Jahre Grundgesetz - und die CDU Chefin legt die Axt an. Die Frau ist keinesfalls weiter tragbar und sollte unverzüglich zurücktreten", schrieb Movassat ebenfalls auf Twitter.
"Ich glaube, dass die @akk nicht andere für das CDU-Ergebnis verantwortlich mache sollte. Wer die Klimakrise nicht anpackt verliert", twitterte die Fraktionschefin der Grünen im Bundestag, Katrin Göring-Eckardt. Und AfD-Vize Georg Pazderski meinte: "Nach der herben CDU-Wahlschlappe bei der EU-Wahl bringt AKK eine Zensur des Internets vor Wahlen ins Gespräch. Die Angst der Altparteien vor den bevorstehenden Landtagswahlen im Herbst in Ostdeutschland wirft ihre Schatten voraus."
Bundestagsvizepräsidentin Claudia Roth (Grüne) sagte der Deutschen Presse-Agentur: "Seit Jahren heißt es bei der Union, rechtspopulistische Diskursverschiebung, bisweilen gar rechtsnationale Hetze dürfe man nicht allzu hart angehen." Kaum äußere sich ein YouTuber kritisch, "fabuliert Annegret Kramp-Karrenbauer über die Beschränkung der Meinungsfreiheit im Wahlkampf. Man kann nur hoffen, es ist Hilflosigkeit und nicht politische Überzeugung."
Journalistenverband: Kramp-Karrenbauer stellt Meinungsfreiheit infrage
Kritik äußerte auch der Deutsche Journalisten-Verband (DJV). "Annegret Kramp-Karrenbauers Äußerungen erwecken den fatalen Eindruck, dass sie das Grundrecht der Meinungsfreiheit schleifen will. Hier kann ich nur sagen: Wehret den Anfängen!", sagte der DJV-Vorsitzende Frank Überall der Tageszeitung "Heilbronner Stimme". "Die CDU-Parteichefin hat offenkundig keinen Plan, wie man mit freien Meinungsäußerungen im Internet umgehen muss. Nämlich tolerant." Auch wenn 70 Redaktionen kurz vor einer Wahl einer Partei schlechte Arbeit vorwerfen würden sei dies "komplett legitim und durch Pressefreiheit gedeckt".
Auch in den sozialen Netzwerken wurden Kramp-Karrenbauer vielfach dahingehend verstanden, sie habe die Regulierung von Meinungsäußerungen im Internet vor Wahlen angeregt. Die CDU-Chefin wies jedoch zurück. Es sei absurd, "mir zu unterstellen, Meinungsäußerungen regulieren zu wollen". Meinungsfreiheit sei ein hohes Gut in der Demokratie. "Worüber wir aber sprechen müssen, sind Regeln, die im Wahlkampf gelten."
CDU-Vize Strobl verteidigt Kramp-Karrenbauer
In einem weiteren Tweet schrieb sie: "Wenn einflussreiche Journalisten oder Youtuber zum Nichtwählen oder gar zur Zerstörung demokratischer Parteien der Mitte aufrufen, ist das eine Frage der politischen Kultur. Es sind gerade die Parteien der Mitte, die demokratische Werte jeden Tag verteidigen."
CDU-Bundesvize Thomas Strobl stellte sich hinter Kramp-Karrenbauer. Es brauche im Netz Regeln, sagte Strobl in Stuttgart. "Wer glaubt, er sei im Internet im rechtsfreien Raum, obliegt einfach einem Irrtum." Insofern habe die CDU-Bundesvorsitzende in diesem Punkt seine uneingeschränkte Unterstützung. Strobl kritisierte in dem Zusammenhang auch die Verrohung der Sprache im Netz. "Man kann ja andere politische Parteien bekämpfen oder mit ihnen in einen Wettbewerb treten, das ist natürlich in Ordnung. Ob man sie gleich zerstören muss, darüber darf man zumindest einmal sprechen", sagte er mit Blick auf das Rezo-Video "Die Zerstörung der CDU".
Laschet auf Gobal Media Forum: Rezo-Video durch Meinungsfreiheit geschützt
Strobls Parteikollege, der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Armin Laschet, betonte dagegen auf dem Global Media Forum der Deutschen Welle in Bonn ausdrücklich, dass auch der Rezo-Video durch die Meinungsfreiheit geschützt sei.
Insbesondere die CDU war vor den Wahlen von Youtubern scharf attackiert worden. Der Youtuber Rezo warf der Union in einem millionenfach geklickten Video vor, "unser Leben und unsere Zukunft" zu zerstören, untätig beim Klimawandel zu sein und Politik für Reiche zu machen. Die Reaktionen der CDU wirkten unbeholfen und zum Teil unbedacht. Nach ersten kritischen Äußerungen räumte Generalsekretär Paul Ziemiak schließlich Versäumnisse eint. Eine Einladung der Partei an Rezo zu einem Gespräch blieb bislang unbeantwortet.
ww/kle (dpa, afp)