Kritik an deutscher Taiwan-Politik
27. Juli 2020Hat Deutschland die Weiße Flagge gehisst und vor China kapituliert? Diese Frage ging vor zwei Wochen durch die Medien, nachdem aufgefallen war, dass das Auswärtige Amt auf seiner Webseite statt der Flagge Taiwans nur eine weiße Fläche zeigte. Allerdings wurde, trotz einiger anderslautender Berichte, die Flagge nicht unerwartet von der Website entfernt - sie war dort nie zu sehen gewesen. Vor der Debatte war das nur kaum jemandem aufgefallen.
Aus Sicht Berlins ist das rot-blaue Banner der "Republik China", so Taiwans offizielle Selbstbezeichnung, nämlich ein Hoheitszeichen. Und Hoheitszeichen sind laut der deutschen Ein-China-Politik der Volksrepublik China vorbehalten. Ein-China-Politik heißt, dass Deutschland offiziell nur die Volksrepublik China anerkennt. Da die Volksrepublik Taiwan wiederum als abtrünnige Provinz ansieht, erkennt die BRD Taiwan offiziell nicht als souveränen Staat an.
Ungleiche Behandlung Taiwans an der Tagesordnung
"Deutschland kann nicht so tun, als gäbe es Taiwan nicht", sagt dazu Andreas Fulda der DW. Der Politologe erforscht an der Universität Nottingham Demokratisierungsprozesse in China, Taiwan und Hongkong. Taiwan erfülle alle gängigen Kriterien eines souveränen Staates und sei zudem eine konsolidierte Demokratie. Was fehle, sei die Anerkennung. "Zu sagen, das sei eine Nicht-Entität, ist ein Anachronismus", kritisiert Fulda.
Es gibt noch viele andere Beispiele für Taiwans Ungleichbehandlung: Seine demokratisch legitimierten Spitzenvertreter dürfen nicht in die EU einreisen, sein Repräsentant in Berlin nicht den Außenminister treffen. Es gab aus Berlin keine Glückwünsche zur Wiederwahl von Präsidentin Tsai Ing-wen im Januar 2020. Selten sorgte das für Empörung. Doch nun schlug die Flaggen-Frage ungewöhnlich hohe Wellen. Taiwan hat durch seine vorbildliche Corona-Bekämpfung international Aufmerksamkeit auf sich gezogen. Außerdem wächst die Kritik am machtpolitischen Auftreten der Volksrepublik und an Deutschlands Chinapolitik.
"Die Bundesregierung agiert in Sachen Taiwan sehr zaghaft, um China nicht zur verärgern", sagt Margarete Bause der DW. "Angesichts der Aggression gegen Hongkong und der Drohgebärden gegen Taiwan ist diese Haltung fahrlässig", so die menschenrechtspolitische Sprecherin der Grünen in Bundestag. Sie befürchte, dass "die nächste Aggression gegen Taiwan gerichtet sein könnte".
Chinesischer Druck auf Taiwan nimmt zu
Obwohl die Kommunisten Taiwan nie kontrollierten, sehen sie Taiwan als Teil ihres Territoriums. Taiwan zählt zum nationalen "Kerninteresse", bei dem die Kommunistische Partei besonders empfindlich reagiert. Das wurde deutlich, als der Petitionsausschuss des Bundestags vergangenen Dezember über Taiwan beriet. Ungewohnt ausführlich erklärte Petra Sigmund, Leiterin der Asien-Abteilung im Auswärtigen Amt, Berlins offizielle Linie: Taiwan sei ein "Wertepartner", mit dem man "exzellent" zusammenarbeite - aber nur unterhalb der Schwelle diplomatischer Beziehungen. Eine Abkehr von der Ein-China-Politik "würde die deutsch-chinesischen Beziehungen schwerwiegend beschädigen, und das liegt nicht in unserem Interesse".
Der Druck auf Taiwan ist seither gewachsen. Seit der Niederlage von Pekings Wunschkandidat bei der Präsidentenwahl im Januar schickt die Volksbefreiungsarmee immer wieder Flugzeuge und Kriegsschiffe rund um die Insel. Die USA, Taiwans inoffizielle Schutzmacht, ziehen von ihren Pazifikbasen aus nach. Dass China militärische Gewalt als Option sieht, um Taiwan unter Kontrolle zu bringen, hatte Staats- und Parteichef Xi Jinping in einer Rede Anfang 2019 klargestellt.
Militäreinsatz ist denkbar
"Wir haben klare Anhaltspunkte, dass Xi nicht davor zurückschrecken würde, Taiwan militärisch zu annektieren", mahnt Politologe Fulda, der schon vor mehr als 20 Jahren in Taiwan lebte und forschte. Man müsse die KP beim Wort nehmen. "Das ist keine theoretische Frage mehr, kein Thema, das man auf die lange Bank schieben kann."
Der deutsche Außenminister sieht das offenbar anders. Auf Twitter beschrieb Reinhard Bütikofer, China-Experte der Grünen im Europaparlament, Mitte Juli ein Treffen mit Heiko Maas. Er habe Maas gebeten, die gängige EU-Position zu bekräftigen, nach der eine Vereinigung Taiwans mit der Volksrepublik nur friedlich zustande kommen dürfe. Maas sei der Frage jedoch ausgewichen: Dies sei kein Thema für die absehbare Zukunft, es gebe drängendere Themen.
Kanzleramt gibt den Ton vor
Eines davon ist offenbar Pekings neues "Sicherheitsgesetz" für Hongkong. Nachdem Berlins anfängliches Schweigen für Kritik gesorgt hatte, kündigte Maas vergangene Woche deutliche Konsequenzen an, etwa einen Stopp von Auslieferungen. Länder wie die USA, Australien und Großbritannien hatten viel schneller reagiert. Die Grünen-Abgeordnete Bause glaubt, die Devise "Probleme hinter verschlossenen Türen ansprechen, aber China nicht öffentlich kritisieren" gehe insbesondere vom Kanzleramt aus. China-Experte Fulda glaubt: "Kanzlerin Merkel und Wirtschaftsminister Peter Altmaier sind noch immer dem 'Wandel durch Handel'-Denken der frühen 2000er Jahre verhaftet".
Im Zentrum der aktuellen deutschen EU-Ratspräsidentschaft sollte ursprünglich ein großer EU-China-Gipfel im September stehen, der inzwischen abgesagt worden ist. "Die Welt und China haben sich verändert. Ein Wohlfühlgipfel passt nicht in diese Zeit", sagt Margarete Bause. Sinnvoll sei er nur, falls die EU bereit sei, "kritische Punkte klar und deutlich anzusprechen und Rote Linien aufzuzeigen, wo es auch Konsequenzen gibt".
Konsequenzen habe jedenfalls der Menschenrechtsausschuss des Bundestags gezogen, dem sie angehört. Nachdem China den Abgeordneten eine Reise immer wieder verweigert hatte, wollten die Abgeordneten im Juni demonstrativ Taiwan besuchen. Weil die Pandemie das verhindert habe, würden sie demnächst zu zehnt einen Tag in Taiwans Vertretung in Berlin verbringen und dort digital mit Gesprächspartnern konferieren, so Bause.