Kritik am Einsatzplan für Kundus
3. September 2003Das Bundeskabinett hat am Dienstag (2.9.2003) über die geplante Ausweitung des Bundeswehreinsatzes in Afghanistan beraten. Wenngleich ein förmlicher Beschluss über die Entsendung von Soldaten soll später gefasst werden soll, wurde die Entschlossenheit zu diesem Einsatz erneut deutlich. Die Regierung möchte jedoch die Entscheidung des UN-Sicherheitsrats über eine Erweiterung des Mandats für die ISAF abwarten. Die Bundesregierung plant, zur Sicherung des Wiederaufbaus rund 250 Soldaten in die nordafghanische Stadt Kundus zu schicken.
Die Stadt Kundus gilt als relativ sicher. Für die Bundesregierung ist das eine wichtige Voraussetzung für den Einsatz von der Soldaten, deren Leben sie nach Möglichkeit nicht gefährden will. Kundus liegt mehr als 200 Kilometer nördlich von Kabul am gleichnamigen Fluss. Bis zur Grenze zu Tadschikistan sind es nur rund 60 Kilometer, und Kundus ist auch vom Bundeswehr-Stützpunkt in Termez in Usbekistan aus gut zu erreichen.
Vorzüge des Standortes
Michael Lüders, Afghanistan-Experte bei der Friedrich-Ebert-Stiftung, kennt die Vorzüge des Standortes. "Es ist relativ nahe dran an Kabul, und es gibt eine brauchbare Straßenverbindung. Der Ort kann nicht gut aus dem Hinterhalt angegriffen werden." Damit seien die Risiken für die Truppe gering. Und das gehöre wohl zu den Hauptgründen der Regierung, die Soldaten nach Kundus zu schicken.
Auch logistisch spricht vieles für Kundus, eine Stadt mit 120.000 Einwohnern, durch die viele Handels-, aber auch Schmuggelwege führen. Machtpolitisch sind zudem kaum Probleme zu erwarten, denn Kundus wird von einem der mächtigsten Männer in der Regierung von Präsident Hamid Karsai kontrolliert.
Nur ein Instrument?
"Kundus steht unter Kontrolle des afghanischen Verteidigungsministers Fahimi", sagt Lüders, "und es ist natürlich für Fahimi ein sehr erfreuliches Angebot, denn er hat ja große Probleme mit seinen Stellvertreter, Herrn Dostum, der Usbeke ist, und als solcher nicht einverstanden ist mit dem Machtanspruch, den Fahimi stellt."
Die Bundeswehr könnte also, ohne es richtig zu merken, instrumentalisiert werden im Machtkampf zwischen dem Verteidigungsminister und seinem Stellvertreter - diese Gefahr sieht zumindest Afghanistan-Kenner Michel Lüders. Darüber hinaus stelle sich die Frage, wozu man die Bundeswehr in Kundus braucht, wenn dort ein Mitglied der Regierung Karsai die Zügel in der Hand hält.
Nach Ansicht von Michael Lüders kann der Bundeswehr-Einsatz in Kundus ohnehin nicht helfen, die wahren Probleme des Landes zu lösen. "Es wird nicht wirklich etwas bewirken. Es ist eine symbolische Geste, es ist ein Signal an die afghanische Regierung, nach dem Motto: 'Wir vergessen euch nicht, wir sind nach wie vor engagiert seitens der Bundesregierung'. Aber es ist wirklich Symbolismus, denn die eigentlichen Konfliktherde in Afghanistan sind anderswo, und die umgeht man."
8000 US-Soldaten
Große Teile des Landes werden von Warlords kontrolliert, daran ändert auch der andauernde Kampf von rund 8000 amerikanischen Soldaten im Land wenig. Die Taliban organisieren sich wieder, das Terror-Netzwerk El Kaida ist noch aktiv, und der Opiumanbau hat wieder dramatisch zugenommen. Mit dem Rauschgifthandel finanzieren die Warlords unter anderem ihre Privatarmeen.
"Das Land ist mittlerweile wieder zerfallen in die Herrschaftsbereiche verschiedener lokaler Warlords", erläutert Lüder. Ergebnis der Kämpfe sei, dass die Lage in Afghanistan heute sehr stark der Lage ähnele, die man dort vorfand, bevor die Taliban 1992 ihren Siegeszug angetreten haben mit dem Ziel, diese Anarchie und diese Gesetzlosigkeit zu beseitigen.
Kabul sei zwar relativ sicher, dort gebe es Erfolge beim Wiederaufbau, meint Michal Lüders. Aber um das ganze Land zu befrieden, seien Tausende zusätzliche Soldaten nötig. Ein paar Wiederaufbauhelfer, flankiert von rund deutschen 250 Soldaten in Kundus seien da nicht mehr als ein Tropfen auf den heißen Stein.
Projekt gescheitert
"Die Bundeswehr oder die ISAF insgesamt kann ja auf militärischer Ebene nicht Probleme lösen, die in der Politik versäumt worden sind zu lösen", warnt Lüders. Das große Problem des Abkommens vom Petersberg sei, dass man die Minderheit der Tadschiken über die Mehrheit der Paschtunen gestellt habe. Das Ergebnis davon sei, dass es im Grunde nur eine einzige paschtunische Führungsfigur in der Regierung gebe, nämlich Premierminister Karsai. "Aber der ist im Grund genommen der Bürgermeister von Kabul", meint Lüders.
Der Afghanistan-Kenner befürchtet, dass die internationale Gemeinschaft sich damit abgefunden hat, nur Kabul und einige Gebiete weiter nördlich zu sichern. Von einer Demokratisierung des gesamten Landes könne kein Rede sein, und politisch sei das Projekt Afghanistan im Grunde gescheitert.