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Erschreckender Film über Rechtsextremismus

20. Januar 2012

Der junge deutsche Regisseur David Wnendt hat einen Film zum Thema der Stunde gemacht. "Kriegerin" gibt tiefe Einblicke in die rechte Szene in Ostdeutschland. Ein kraftvolles Kinodebüt, das erschreckt und verstört.

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Szenenbilder zum Film Kriegerin von David Wnendt (Foto: Filmfest München)
Die "Kriegerin" MarisaBild: FILMFEST MÜNCHEN

Eigentlich müsste er sich darüber freuen. Der junge David Wnendt hat mit seinem Debüt "Kriegerin" einen Film vorgelegt, der in den kommenden Wochen noch für viel Gesprächsstoff sorgen dürfte. Denn "Kriegerin" erzählt eine Geschichte aus der rechtsextremen Szene in Ostdeutschland, die sich nun - nach den jüngsten Ereignissen rund um die Zwickauer Terrorzelle - als realistischer und wahrhafter erwiesen hat, als den meisten Zuschauern lieb sein dürfte.

Der Regisseur David F. Wnendt und der First Steps Award (Foto: dpa)
David WnendtBild: picture-alliance/dpa

Noch vor ein paar Monaten hätte man den Film "Kriegerin" wahrscheinlich als zu plakativ und klischeehaft bezeichnet. Doch nun hat die Realität die Fiktion eingeholt. Und David Wnendt steht plötzlich als Regisseur mit seherischen Qualitäten da. Nach seiner Premiere beim Münchner Filmfest im Sommer lief "Kriegerin" bei einigen Festivals im In- und Ausland und errang mehrere Preise. Im Januar kommt der Film in die deutschen Kinos.

Nazisymbole und rassistische Übergriffe

David Wnendt erzählt die Geschichte der jungen Marisa, einer Heranwachsenden in der ostdeutschen Provinz, die fest verwurzelt in einer rechtsextremen Clique ist. Mit Nazi-Symbolen tätowiert, hasserfüllt, brutal gegenüber Ausländern, schlägt sie sich durchs Leben. Ihr näheres Umfeld besteht aus meist männlichen Jugendlichen, auch sie allesamt Nazi-Sympathisanten. Nach einem Zwischenfall mit zwei jungen afghanischen Asylbewerbern rastet Marisa aus, fährt die beiden mit ihrem Auto an, verletzt sie. Was dann folgt, kann man als langsame Läuterung der Hauptfigur beschreiben. Marisa knüpft vorsichtig Kontakt zu einem der beiden Afghanen, verhilft ihm schließlich zur Flucht nach Schweden.

Szenenbilder zum Film Kriegerin (Foto: Ascot Elite Filmverleih / Alexander Janetzko)
Terror in der Straßenbahn - junge Rechtsradikale gegen AusländerBild: Ascot Elite Filmverleih/Alexander Janetzko

Vor vielen Jahren habe er eigentlich nur eine Fotoreise nach Ostdeutschland unternehmen wollen, um dort brachliegende Industrieruinen aufzunehmen, erzählt Regisseur David Wnendt. Dabei sei er dann nach und nach mit vielen rechtsextremen Jugendlichen in Kontakt gekommen: "In den Dörfern im Osten drängte sich der Eindruck auf, dass es sich um ein echtes Massenphänomen handelt. Das fand ich erschreckend, aber auch interessant". Wnendt begann daraufhin intensiv zu recherchieren, knüpfte Kontakte in der Szene, insbesondere zu jungen Frauen: "In den letzten Jahren ist der Frauenanteil in der rechten Szene immer weiter gestiegen. Frauen waren nicht mehr nur Mitläuferinnen, sondern übernahmen aktive Rollen auf ganz verschiedenen Ebenen."

Authentisches Umfeld

Wnendt blickt in seinem Film auf die Treffen der Jugend, zeigt, wie diese trinkend und grölend Nazilieder singen oder alte Propagandafilme auf DVD sehen. Er inszeniert Überfälle auf Ausländer in der Straßenbahn, aber auch kleinere rassistische Übergriffe im Alltag. Wnendt bettet die Biografien seiner Protagonisten auch in ein privates Umfeld ein, zeigt machtlose Väter und Mütter. Dadurch wirken Figuren und Szenerie realistisch und authentisch. Psychologisch unglaubwürdig wird der Film nur, wenn die Annäherung zwischen Marisa und dem jungen afghanischen Asylbewerber allzu rasch in Szene gesetzt wird. Warum der junge Mann ausgerechnet beim rechtsextremen Mädchen Marisa Hilfe sucht, kurz nachdem diese ihn mit dem Auto angefahren hat, bleibt rätselhaft bis zum Schluss. Auch Marisas Weg der Läuterung ist eher dramaturgischen Kinokonventionen geschuldet als psychologischer Glaubwürdigkeit.

Szene aus dem Film Kriegerin (Foto: Ascot Elite Filmverleih / Alexander Janetzko)
Roher Umgang innerhalb der Clique steht auf der TagesordnungBild: Ascot Elite Filmverleih/Alexander Janetzko

Doch trotz dieser Einwände: "Kriegerin" ist ein Film, der den Zuschauer atemlos und erschüttert zurücklässt. Insgesamt ist das Konzept des jungen Regisseurs aufgegangen: "Der Film soll aufklären, ohne vordergründig pädagogisch zu sein. Er soll Stellung beziehen, ohne auf Klischees zurückzugreifen. Er soll provozieren und unterhalten, ohne nach billigen Effekten zu haschen. "Kriegerin" bietet dem Zuschauer Erklärungsmuster für ein Verhalten, das eigentlich nicht zu erklären ist. Warum entwickelt sich gerade in Ostdeutschland und dort in der Provinz Ausländerfeindlichkeit? Warum brechen Jugendliche aus dem Elternhaus aus, lassen sich Nazisymbole auf die Haut tätowieren und grölen rassistische Lieder?

Perspektivlosigkeit und Ohnmacht

Wnendt bietet in seinem Film Antworten an, die nicht vollkommen neu sind, die aber wohl den Kern der Sache treffen. Es ist die Perspektivlosigkeit der jungen Leute, die Ohnmacht der Eltern, die hohe Arbeitslosigkeit, womöglich auch das ideologische Vakuum nach der Wende. Es sind aber auch Jugendphänomene, kleine Eifersüchteleien, Konkurrenzkämpfe innerhalb der Clique, die dann auf den fruchtbaren Boden von Gewaltbereitschaft und Rassismus stoßen. Antworten also, die nicht überraschen, die aber - packend inszeniert im Spielfilm - eine hohe Überzeugungskraft entwickeln.

Szenenbilder zum Film Kriegerin (Foto: Ascot Elite Filmverleih / Alexander Janetzko)
Marisa (Alina Levshin) ist am Ende geläutertBild: Ascot Elite Filmverleih/Alexander Janetzko

"Themen und Ansichten der Rechtsextremen sickern immer weiter in die Mitte der Gesellschaft", sagt Wnendt, das Vertrauen in die Demokratie schwinde. Fast jeder Zweite im Osten halte die Demokratie nicht mehr für die bestmögliche Staatsform. Und auch die, die sich nicht als "Rechts" bezeichnen, seien oft ausländerfeindlich. "Und das meist in Gegenden, in denen der Ausländeranteil verschwindend gering ist". David Wnendt hat mit der "Kriegerin" einen hochaktuellen Film gedreht. Dass sein Debüt plötzlich dermaßen aktuell ist, das dürfte ihn nur zum Teil freuen. Zu erschreckend wahrhaftig ist die fiktive Szenerie des Films.

Autor: Jochen Kürten
Redaktion: Silke Wünsch