Krieg mit Drohnen in Äthiopien: Zivilisten im Kreuzfeuer
5. Dezember 2024"Ich bin am Boden zerstört. Er ging zum Markt und kam nie mehr zurück." Das sind die Worte einer trauernden Mutter in einem entlegenen Dorf in Äthiopiens nördlicher Amhara-Region. Vor einem Monat kam ihr 20-jähriger Sohn bei einem Drohnenangriff ums Leben. "Er starb, nachdem sie aus der Luft angegriffen wurden." Die DW hat sich entschieden, ihre Identität zum Schutz vor Repressalien nicht zu veröffentlichen.
Einige Monate nach dem Friedensschluss in der benachbarten Region Tigray intensivierten sich in Amhara Kämpfe zwischen der Zentralregierung und der lokalen Fano-Miliz. In der benachbarten Zentralregion Oromia kämpft sie gegen die Oromo Liberation Army (OLA). Seitdem ist die Zahl der bei Drohnenschlägen getöteten Zivilisten deutlich gestiegen.
Ein Drohnenangriff, der aus dem Raster fällt
Am 5. November traf dieses Schicksal den 20-Jährigen, der auf dem Markt der nahen Kleinstadt Zibst mit gebrauchter Kleidung handelte. Er war eines der 43 Todesopfer eines Drohnenschlags an jenem Tag. Im Telefonat mit der DW erzählt der Vater, ein Nachbar habe seinen Sohn anhand seines Ausweises identifiziert und ihn angerufen. "Ich eilte in die Stadt", erzählt der Vater. "Ich brachte ihn nach Hause und begrub ihn am Ort seiner Geburt."
Anwohner berichten, dass nach insgesamt drei Drohnenschlägen auf Zibst die Zahl der Toten auf bis zu 51 angestiegen sei. Auch eine Grundschule und ein Gesundheitszentrum seien getroffen werden.
Vom "tödlichsten Angriff" in dem Konflikt spricht Braden Fuller, der am Ethiopian Peace Observatory der US-amerikanischen NGO Armed Conflict Location and Event Data Project (ACLED) arbeitet. "Die Drohnenschläge treten meist im Kontext von Zusammenstößen am selben Ort auf. Aber ich glaube, dass dieser jüngste Angriff eine Sonderstellung hat, weil zu dem Zeitpunkt an dem Ort nicht gekämpft wurde." Lokale Zivilisten, mit denen die DW sprechen konnte, untermauern diese Einschätzung.
Hunderte bei Luftschlägen getötet
ACLED zählte bis Ende November 54 Luftschläge, von denen 52 von Kampfdrohnen der Äthiopischen Nationalen Streitkräfte ENDF ausgeführt wurden. Die Organisation geht von 449 Todesopfern aus.
Es ist davon auszugehen, dass diese Aufzählung nicht alle Vorfälle beinhaltet, da der Informationsfluss aus den dünn besiedelten Gegenden lückenhaft ist. Die Amhara Association in Nordamerika (AAA) kommt zu höheren Zahlen: Ihren Angaben zufolge wurden in der Region Amhara mindestens 125 Drohnen- und Luftschläge ausgeführt. Dabei seien mindestens 754 Menschen getötet und 223 verletzt worden. Und darin seien nur Angriffe enthalten, die ausschließlich Zivilisten gegolten hätten, erklärt AAA-Vertreter Hone Mandefro. "Sie massakrieren unschuldige Menschen, die nichts mit dem Krieg zu tun haben, und das ist kein Versehen", sagt Hone im DW-Gespräch. "Seitdem die Regierung wiederholt Kampftruppen entsendet und Niederlagen erlitten hat, bleibt ihr nur die Möglichkeit, die Bevölkerung zu terrorisieren und somit von einer Unterstützung der Fano abzuhalten."
Addis Abeba dementiert Schläge auf Zivilisten
Die Armee leugnet nicht den Einsatz von Drohnen gegen Fano-Milizionäre in Amhara. "Drohnen sind für den Kampf gemacht", sagte Generalstabschef Feldmarschall Birhanu Jula in einem Interview des nationalen Fernsehsenders. "Wir haben sie zum Kämpfen gekauft. Wenn wir eine Gruppe Extremisten aufspüren, greifen wir sie mit Drohnen an. Aber wir zielen nicht auf Zivilisten."
Im Oktober bestätigte die Führung der 302. Einheit des ENDF-Ostkommandos, dass im Bezirk Nordgodscham Drohnen gegen Fano-Stellungen eingesetzt wurden. Der Angriff taucht auch in den Listen der AAA auf: Sechs Bauern seien getötet, vier weitere verletzt worden.
Legesse Tulu, Informationsminister der Regierung in Addis Abeba, weist solche Berichte als "inakzeptabel" zurück. In einer Pressekonferenz am 16. November sagte er, die Armee habe in "ausgewählter und geplanter Weise" angegriffen.
Menschenrechtler dokumentieren Drohneneinsätze der Armee
Äthiopische und internationale Menschenrechtsorganisationen beruhigen solche Beteuerungen nicht. Ein Bericht der Äthiopischen Menschenrechtskommission (EHRC) legt nahe, dass in den zwölf Monaten bis Juni 2024 "eine große Zahl von Zivilisten brutal durch Artilleriebeschuss und Luftschläge insbesondere von Drohnen getötet wurden". Auch der Hohe Kommissar der Vereinten Nationen für Menschenrechte (OHCHR) sieht zahlreiche zivile Opfer als erwiesen an: Laut OHCHR wurden zwischen August und Dezember 2023 bei 18 Drohnenschlägen 248 Zivilisten getötet und 55 weitere verletzt.
Im OHCHR-Jahresbericht ist außerdem von Luftschlägen auf öffentliche Einrichtungen wie Schulen und Krankenhäuser sowie private Wohnhäuser die Rede. Dies wecke ernsthafte Besorgnis über die Einhaltung internationalen Rechts.
Die Armee war mit der Bayraktar TB2 schon einmal erfolgreich
Erst im vergangenen Jahr hat die äthiopische Luftwaffe den Aufbau einer eigenen Drohneneinheit bestätigt. Sie nutzt verschiedene Modelle, darunter die türkische Bayraktar TB2. Das Modell wurde beispielsweise auch von Aserbaidschan im Bergkarabach-Krieg 2020 sowie von der Ukraine in der Abwehr der russischen Invasion ab 2022 eingesetzt und ist auch in Afrika weit verbreitet. Beobachtern zufolge ist die Bayraktar TB2 effektiver als andere Drohnen der ENDF, die etwa aus China stammen. Der Geschäftsführer der türkischen Entwicklerfirma, Haluk Bayraktar, wurde von der ENDF "für seine bedeutsamen Beiträge für den Aufbau von Fähigkeiten der Luftwaffe" ausgezeichnet. Experten zufolge hatten die Drohnen einen deutlichen Einfluss auf den Verlauf des Tigray-Kriegs, der am 3. November 2022 durch einen Friedensvertrag zwischen den lokalen TPLF-Rebellen und der Zentralregierung beigelegt wurde.
Beim aktuellen Konflikt sei das anders, meint ACLED-Analyst Fuller: "Ich sehe keinen Beweis, dass die Drohnenschläge irgendwelche Auswirkungen haben auf die anhaltenden Kämpfe gegen Fano-Milizionäre in Amhara oder die OLA in Oromia." Auch wenn die Angriffe möglicherweise dem Führungspersonal der Milizen gälten, würden dennoch ständig zivile Ziele getroffen. Fuller glaubt dennoch, dass die Regierung auch künftig an Drohnenschlägen festhalten wird. "Wir haben in der Vergangenheit nicht beobachtet, dass die äthiopische Regierung sich dem Druck beugt, egal ob er von der Öffentlichkeit oder der internationalen Gemeinschaft kommt."
Dieser Artikel wurde aus dem Englischen adaptiert.