Oppositionspolitiker Nemzow ermordet
28. Februar 2015Keine zwei Tage vor einer geplanten Großkundgebung der russischen Opposition ist in Moskau der prominente Regierungskritiker Boris Nemzow auf offener Straße erschossen worden. Der frühere Vize-Regierungschef sei über eine Brücke nahe dem Kreml gelaufen, als ihm vier Kugeln in den Rücken geschossen worden seien, sagte eine Sprecherin des Innenministeriums. Der Regierungsgegner soll in Begleitung einer Bekannten aus der Ukraine unterwegs gewesen sein. Die Staatsanwaltschaft sprach am Samstagmorgen sogar von mindestens sieben bis acht Schüssen.
Der 55 Jahre alte Nemzow, Führer der Partei RNR-Parnass und Vater dreier Kinder, galt als eine der schillerndsten Persönlichkeiten der russischen Opposition. Der charismatische Politiker war einer der schärfsten Kritiker des russischen Präsidenten Wladimir Putin.
Putin spricht von Auftragsmord
Putin wurde umgehend über die Bluttat im Herzen Moskaus informiert, wie sein Sprecher Dmitri Peskow mitteilte. Putin habe Sonderermittler mit der Aufklärung des Verbrechens beauftragt. Die tödlichen Schüsse deuteten auf einen Auftragsmord hin, sagte Putin nach Peskows. Es habe sich um einen "brutalen Mord" und eine "große Provokation" gehandelt. Der Präsident habe den Angehörigen sein Beileid ausgesprochen. Zudem habe Putin die leitenden Mitarbeiter der obersten Ermittlungsbehörden, des Innenministeriums und des Inlandsgeheimdienstes FSB, angewiesen, die Ermittlungen persönlich in die Hand zu nehmen.
Nemzow galt als glühender Unterstützer der proeuropäischen ukrainischen Führung in Kiew. Er hatte die Hoffnung geäußert, dass der Funken der Revolution überspringt auf Russland. Der Politiker hatte den Krieg in dem Nachbarland scharf kritisiert - als russische Aggression. In einem eindringlichen Appell hatte er den Einsatz von russischen Soldaten in der Ostukraine - ohne Erkennungszeichen an den Uniformen - als "illegal" kritisiert. Der Oppositionspolitiker beschimpfte Putin als "Lügner". Die Mehrheit der Russen unterstützt jedoch die Politik des Präsidenten.
Verlust für russische Liberale.
Die Opposition will an diesem Sonntag ihre erste große Demonstration dieses Jahres gegen die Politik von Putin organisieren. Der Marsch ist nicht wie beantragt für das Zentrum, sondern für den Südosten der Hauptstadt genehmigt worden. Thema soll neben dem unerklärten Krieg des Landes gegen die Ukraine auch die Wirtschaftskrise Russlands sein. Die Agentur Interfax berichtete unter Berufung auf Ermittler, der Mord an Nemzow könne eine gezielte Provokation sein vor der Aktion der Regierungskritiker.
Der Oppositionspolitiker Wladimir Ryschkow warnte vor einem "wachsenden Hass auf Andersdenkende" in der Gesellschaft. "Ich bin schockiert", sagte er. Kein Oppositioneller könne sich heute in dem Land sicher fühlen, betont er. Auch Journalisten seien in Gefahr. Viele Wegbegleiter von Nemzow sprachen von einem großen Verlust für liberal denkende Menschen im größten Land der Erde.
Einst Vizepräsident unter Boris Jelzin
US-Präsident Barack Obama hat die brutale Ermordung des russischen Oppositionspolitikers Boris Nemzow scharf verurteilt. In einer in Washington vom Weißen Haus verbreiteten Erklärung wird die russische Führung zu einer "schnellen, unvoreingenommenen und transparenten" Aufklärung des Verbrechens aufgefordert. Obama würdigte Nemzows "tapferen Einsatz" gegen die Korruption in Russland. Er sprach der Familie Nemzows sein Beileid aus, ebenso wie dem russischen Volk, das "einen der engagiertesten und eloquentesten Verteidiger seiner Rechte" verliere.
Der ukrainische Präsident Petro Poroschenko zeigte sich schockiert über den Mord. "Sie haben Boris umgebracht. Es ist kaum zu glauben. Ich habe keine Zweifel, dass die Täter bestraft werden - früher oder später", teilte der prowestliche Staatschef über den Kurznachrichtendienst Twitter mit.
Nemzow startete seine politische Laufbahn als Gouverneur der zentralrussischen Region Nischni Nowgorod. 1997 und 1998 war er unter dem damaligen Präsidenten Boris Jelzin Vize-Ministerpräsident und galt als einer der Architekten der liberalen Wirtschaftsreformen. Bei der Präsidentschaftswahl 2008 schickte ihn die liberale Partei Union der rechten Kräfte ins Rennen, er legte die Kandidatur aber vor der Wahl nieder.
gmf/pab (afp, dpa, rtr, faz.net)