Krawall in Jordaniens größtem Flüchtlingscamp
7. April 2014Die jordanische Polizei ging mit Tränengas gegen die aufgebrachte Menge im Flüchtlingslager Saatari vor. Tausende von syrischen Bürgerkriegsflüchtlingen griffen die Polizisten im Lager mit Steinen an. 29 Beamte wurden nach Behördenangaben verletzt. Ein 25-jähriger Syrer starb unter zunächst unklaren Umständen durch eine Schussverletzung. Nachdem es in den vergangenen Monaten ruhig um das einst für seine Krawalle berüchtigte Lager geworden war, eskalierte die Lage am vergangenen Samstag (05.04.2014) erneut. Auslöser war der Versuch einer syrischen Familie, das Camp ohne die nötige Genehmigung zu verlassen.
Das jordanische Saatari liegt nur wenige Kilometer von der syrischen Grenze entfernt. Seit Beginn des Bürgerkriegs in Syrien vor mehr als drei Jahren sind nach Angaben des UN-Flüchtlingshilfswerks UNHCR mehr als eine halbe Millionen Syrer nach Jordanien gekommen. Allein im Lager Saatari leben mehr als 100.000. Die Ansammlung von Zelten und Wohncontainern in der jordanischen Wüste ist das zweitgrößte Flüchtlingslager der Welt. Nur in einem Camp in Kenia harren wegen des Bürgerkriegs in Somalia noch mehr Menschen aus.
Einst das schwierigste Lager der Welt
Als die Notunterkünfte vor knapp zwei Jahren entstanden, hatten unzufriedene Bewohner immer wieder gewaltsam protestiert. Die Versorgung der Flüchtlinge stockte. "Das Lager war das schwierigste der Welt", erinnert sich Kilian Kleinschmidt. Er ist als UNHCR-Verwaltungschef in Saatari eine Art Bürgermeister. Vor einem Jahr seien Demonstrationen noch an der Tagesordnung gewesen. Mitarbeiter von Hilfsorganisationen und Polizisten seien verletzt worden, sagt Kleinschmidt im DW-Gespräch. Seitdem habe das UNHCR ein Netz von Kontakten aufgebaut und die Vorstellungen der Flüchtlinge bei der Lagerverwaltung miteinbezogen. Das habe Spannungen abgebaut.
Auch Ninja Charbonneau vom UN-Kinderhilfswerk UNICEF betont, dass die Hilfsorganisationen das Gespräch mit den Flüchtlingen suchten, um Konflikte zu vermeiden. In jedem Viertel des Lagers gebe es sogenannte Community-Leader. Das sind laut Charbonneau Respektspersonen und Ansprechpartner. Auch Imame der Moscheen in Saatari seien darunter. Sie sollen frühzeitig auf Probleme hinweisen.
Saatari ist heute eine künstliche Großstadt, die arbeitsteilig verwaltet wird. "Das Lager ist unter Leitung des UN-Flüchtlingshilfswerks", skizziert Charbonneau die Strukturen. Für die Sicherheit seien die jordanischen Behörden zuständig. UNICEF kümmere sich um Schulen und um die gesamte Wasserversorgung. Daneben ist eine kaum überschaubare Zahl von Hilfsorganisationen im Einsatz.
Versorgung hatte sich eingependelt
Die Grundstimmung sei zuletzt eigentlich recht gut gewesen, unterstreicht Charbonneau, die noch vor kurzem im Lager war. "In den letzten sechs Monaten war es sehr ruhig, nachdem sich alles mehr oder weniger eingespielt hatte und auch die Versorgung besser funktioniert hat", beschreibt die UNICEF-Sprecherin die Lage. Unabhängig von der Versorgung bleibe die Situation für viele Flüchtlinge schwierig. Ein Teil von ihnen habe eine gefährliche Flucht hinter sich. "Sie kommen dann in dieses Camp, das wirklich mitten in der Wüste ist. Es gibt keinen Baum, es gibt nur Sand und Geröll und Steine."
Neben der Enge des Lagerlebens machen vor allem die düsteren Zukunftsaussichten den Männern, Frauen und Kindern zu schaffen. "Die Perspektivlosigkeit ist wahnsinnig schwierig", schildert Charbonneau die Stimmung. Viele hätten geglaubt, dass sie ihre Heimat nur für einige Wochen verlassen müssten, bis die Kämpfe vorbei seien. Nun wolle ein Teil von ihnen so schnell wie möglich wieder aus dem Lager herauskommen. Doch das ist nicht so einfach. Wenn ein Syrer Saatari verlassen will, braucht er einen jordanischen Bürgen, der für ihn garantiert. Nur dann gibt es eine Genehmigung.
Steine, Tränengas und brennende Gasflaschen
Solch ein Papier fehlte der Familie, die sich am Samstag in einem Auto versteckte, um am jordanischen Wachposten vorbeizukommen. Die Polizei habe die Familie jedoch zurückgehalten, schildert Kleinschmidt die Entwicklung. Dann seien andere Syrer hinzugekommen. Nachdem die ersten Steine flogen, sei die Polizei verstärkt worden. Schließlich hätten die Jordanier Tränengas eingesetzt, während syrische Flüchtlinge Gasflaschen in Brand gesetzt hätten. "Es war eine typische Eskalation, wie man sie oft bei Demonstrationen hat", erklärt der UNHCR-Verwalter.
Kleinschmidt will in den Ausschreitungen kein Anzeichen für allgemeinen Frust in dem Lager sehen. Mehr als 90 Prozent der Flüchtlinge seien gegen die Unruhen gewesen, meint der Deutsche. Viele der Unruhestifter seien erst in den vergangenen Wochen und Monaten ins Lager gekommen. Sie müssten nun verstärkt in das Netz von Kooperationen integriert werden. Der UNHCR-Verwalter ist überzeugt, dass die Krawalle eine Ausnahme sind.