Krautzun: "Wir können von China lernen"
23. Juni 2017DW: Herr Krautzun, was halten Sie von der Idee des DFB, die chinesische Olympia-Auswahl außer Konkurrenz in der Regionalliga Südwest mitspielen zu lassen?
Eckhard Krautzun: Ich bin ein großer Fan der chinesischen Mannschaften und finde die Idee hervorragend - auch wen sie sich zunächst etwas bizarr anhört. Es ist aber einzig und alleine eine Sache des Wettbewerbs. Man hat in China keine starken Ligen außer der Profiliga CSL. Gerade im Amateur- und Jugendfußball ist man erst dabei, wettbewerbsfähige Ligen aufzustellen, so dass die Idee, in einer deutschen Regionalliga mitzuspielen, sehr positiv ist. Als ich 2004 Trainer in China war und die U20 auf die Junioren-WM in den Niederlanden vorbereitete, gab es schon einmal die Idee, diese junge Mannschaft in der Bayernliga mitspielen zu lassen. Allerdings klappte das nicht, weil gewisse FIFA-Bestimmungen das nicht erlaubten.
Wäre die U20 Chinas in der Regionalliga von der fußballerischen Stärke her richtig einsortiert? Wie stark ist die Mannschaft?
Die Mannschaft ist absolut einsatz- und konkurrenzfähig. Wir haben derzeit in China mit Lars Isecke einen jungen deutschen Trainer der U19, der vorher lange Assistent bei der deutschen U21 und U19 war. Er weiß, wie stark diese jungen Spieler sind. Er hat gerade mit der U19 beim Panda-Cup mitgespielt und dort sehr gut abgeschnitten. Daher glaube ich, dass die chinesische Mannschaft durchaus mit den deutschen Regionalligisten mithalten kann.
"Vier Standorte für Jugendakademien"
Schaut man sich den Kader der deutschen U20-Mannschaft an, so spielen dort ausschließlich Spieler, die in den Nachwuchsleistungszentren von Erst- oder Zweitligisten ausgebildet wurden. Wie ist das bei der chinesischen Mannschaft? Wie läuft dort die Ausbildung der Spieler?
Es werden gerade Jugendakademien gebaut. Man orientiert sich eng an den Richtlinien des DFB. Auch die Profi-Vereine in der ersten und zweiten CSL müssen demnächst Jugendleistungszentren nachweisen und strikte Kriterien erfüllen. Dort werden dann die besten Spieler ausgebildet. Im Moment gibt es viele Soccer-Camps, es tummeln sich alle möglichen Mannschaften und Trainer der Welt in China, von Barcelona, Bayern München bis Chelsea und so weiter. Aber alles ist noch nicht richtig strukturiert. Da soll der DFB helfen. Es sind vier Standorte geplant: in Shanghai, in Qingdao, in der inneren Mongolei und in Peking. Hier sollen die ersten Jugendakademien mit der Hilfe und der Erfahrung des DFB aufgebaut werden.
Es hat dazu mehrere Sitzungen gegeben zwischen Chinas Verband CFA und dem DFB, zwischen der CFL und der DFL und auf höchster Regierungsebene zwischen dem chinesischen Bildungsministerium und dem entsprechenden deutschen Ministerium - und auch Bundeskanzlerin Angela Merkel hat mit Chinas Staatspräsident Xi Jinping mehrfach in dieser Frage gesprochen. Sie werden sich auch im Rahmen des G20-Gipfels in Hamburg treffen. Dort ist auch die engere Kooperation mit dem DFB eines der Themen, was Ausbildung, Förderung, Jugendarbeit, Marketing und Wettbewerb anbetrifft.
Nachdem der Plan des DFB mit Chinas U20 in der Regionalliga bekannt wurde, hieß es zunächst, alle beteiligten Vereine freuten sich auf das Projekt. Nun hat mittlerweile der SV Waldhof Mannheim mitgeteilt, man boykottiere das Vorhaben und werde nicht gegen Chinas U20 spielen. Auch Klubs aus anderen Regionalligen wie Rot-Weiß Oberhausen und Rot-Weiss Essen haben sich kritisch geäußert. Haben Sie Verständnis für diese Kritik?
Man muss sich erst einmal ein klares Bild machen, bevor voreilig euphorisiert wird - zunächst hieß es, bis auf den FK Pirmasens würden sich alle freuen. Jetzt höre ich mehr kritische Stimmen. Die Entscheidung fällt am 11. Juli. Es ist noch nichts entschieden, daher verstehe ich im Vorfeld die Aufregung nicht. Im Moment wird viel diskutiert und in die Sache hinein interpretiert.
Inwiefern die Chinesen von einer solchen Kooperation profitieren, die das Team in Deutschland optimal auf die Olympischen Spiele 2020 vorbereiten wollen, ist deutlich zu sehen. Sehen Sie auch Punkte, bei denen die deutschen Viertligisten durch dieses "China-Abkommen" des DFB einen Vorteil haben?
Beim Deutsch-Chinesischen Fußball-Gipfel in Frankfurt sind vor einigen Tagen vier Absichtserklärungen unterzeichnet worden. Beide Seiten wollen geben und nehmen. Der chinesische Verband möchte vom DFB lernen, der im Bereich Ausbildung und bei den Jugendleistungszentren herausragend ist. Und wir können auch von den Chinesen lernen. Ein reger Austausch im Jugendbereich, im Trainerbereich, später auch bei den Profis - da können alle nur profitieren.
Einige Bundesligisten, beispielsweise der VfL Wolfsburg, Bayern München und auch der 1. FC Köln, haben Filialen in China oder Kooperationen mit chinesischen Erstligisten. Geht es da aus Ihrer Sicht nur um finanzielle Interessen, oder spielt sportlicher Austausch auch eine Rolle?
Beides. Natürlich wäre es für einen deutschen Spitzenverein vom Marketing-Standpunkt her ausgezeichnet, wenn sie einen herausragenden chinesischen Spieler in ihren Reihen hätten, weil das ein enormes Interesse in den chinesischen Medien hervorrufen würde. Ein Beispiel ist der VfL Wolfsburg, wo Xizhe Zhang mit großen Tamm-Tamm vorgestellt wurde, der es dann leider sportlich nicht geschafft hat. Aber wir wissen, dass Spieler wie Zhang oder Xie Hui, der in Aachen gespielt hat, Chen Yang bei Eintracht Frankfurt, großes Interesse geweckt haben. Was mir nur Sorgen macht, sind die Wahnsinnssummen, die derzeit auf dem chinesischen Markt gezahlt werden, um europäische Spieler, manchmal nur Durchschnittsspieler, in die CSL zu locken. Man wird demnächst aber von Seiten der CFA eine Transfer- und Gehaltsobergrenze einführen, davon bin ich überzeugt.
"Japaner und Koreaner sind ehrgeiziger"
Woran liegt es, dass es noch kein Chinese geschafft hat, sich bei einem deutschen oder europäischen Top-Verein dauerhaft durchzusetzen? Und wann rechnen Sie damit, dass chinesische Spieler den Sprung schaffen, ähnlich wie das die Japaner ja schon seit Jahren machen?
Das ist ganz einfach: Es gibt große Unterschiede in der Mentalität zwischen einem japanischen, einem chinesischen oder koreanischen Spieler. Die europäischen Vereine haben gerne Japaner und Koreaner. Die sind hungrig, die sind diszipliniert, für die ist es eine enorme Ehre, in Deutschland, Frankreich, England oder Spanien zu spielen. Die Chinesen verdienen schon sehr früh sehr viel Geld in ihren Profi-Ligen. Und das ist das Problem. Sie sagen sich: 'Solange wir doch in unserem eigenen Land schon sehr gut verdienen und regelmäßig in der ersten Mannschaft spielen, warum sollen wir uns in europäischen Mannschaften durchbeißen?' Das ist leider anders als bei Japanern und Koreanern, die auf dem Gebiet ehrgeiziger sind.
Chinas Staatspräsident Xi Jinping ist großer Fußballfan und hat verordnet, China solle eine Fußballnation werden. Das Potential, wenn man sich nur die Bevölkerungszahlen anschaut, ist in jedem Fall vorhanden. Was fehlt noch, damit Xis Wunsch auch in Erfüllung geht?
Erstens Wettbewerb: regelmäßige Schulwettbewerbe, Spiele auf hohem Niveau zwischen den Mannschaften der U12, U16, U17 und U19. Das wird jetzt eingeführt. In den Schulen, wo ich immer noch sehr oft tätig bin - ich bin fast vier Monate im Jahr in China - gibt es die klare Anweisung, Sportplätze zu bauen. Fast jede Schule hat gute Kunstrasenplätze. Jetzt kommt es darauf an, Lehrer und Trainer auszubilden. Da ist auch der DFB dabei. 1000 bis 1500 junge, neugierige und abenteuerlustige Trainer werden nach China geschickt, die dort lernen und ihr Know-how in den Schulen und Universitäten verbreiten können.
Wie wäre es mit einer Fußball-WM in China, die ja auch auf dem Wunschzettel Xi Jinpings steht?
Alle Voraussetzungen sind gegeben: Stadien, Infrastruktur, Logistik, Interesse, Marketing und Fernsehen. Es wäre eine tolle Sache und überhaupt kein Problem.
Eckhard Krautzun, Jahrgang 1941, hat als Trainer schon in der ganzen Welt gearbeitet und insgesamt 31 Mannschaften in elf Ländern trainiert. Neben Vereinsengagements in Deutschland, Kanada, Saudi-Arabien, Japan, der Schweiz, den USA und Tunesien war er als Nationaltrainer oder Sportdirektor in Kenia, Kanada, Malaysia, Tunesien, Südkorea und auf den Philippinen tätig. Von 2003 bis 2005 trainierte er die U20-Auswahl Chinas. Bis heute ist Krautzun regelmäßig in China, hält dort Vorträge über Entwicklung im Fußball und trainiert mit Jugendlichen.
Das Interview führte Andreas Sten-Ziemons