Kranken-und Altenpfleger: Die unterbezahlten Helden
16. Juli 2020Es war die Zeit von Anfang bis Mitte März, als auch in Deutschland richtig klar wurde: Die Corona-Pandemie ist eine schwere Krise für die ganze Gesellschaft. Immer mehr richtete sich der Fokus auf die Berufsgruppen, die jetzt Entscheidendes leisten mussten: Auf die Krankenpfleger, ob vollständig ausgebildet oder als Hilfskräfte, in den Krankenhäusern, in den Heimen. Abends standen in ganz Deutschland, auch in vielen anderen Ländern, die Menschen auf ihren Balkonen und applaudierten den Helden der Krise. Betroffene, Experten und Politiker aller Lager forderten eine bessere Bezahlung.Denn, dass die Vergütung für den anstrengenden Job der Pflege zu gering ist, nicht nur in Deutschland, das ist seit Jahren eigentlich allen klar.
1500 Euro als Bonus. Oder doch nicht so viel?
Politiker wie etwa Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) machten sich für eine Einmalzahlung für Pflegekräfte stark, in Höhe von 1500 Euro. Jetzt, einige Monate später, steht fest: 1000 Euro davon zahlt die Regierung, das hat der Bundestag beschlossen. Die Bundesländer, aber auch die Arbeitgeber sollen die restlichen 500 Euro aufbringen, aber um diese Aufstockung gibt es Streit. Sollen das nur die Arbeitgeber zahlen, oder vielleicht auch die Krankenkassen? Bei den Betroffenen macht sich rund vier Monate, nachdem sie im ganzen Land gefeiert wurden, immer mehr Ärger Luft.
"Systematische Benachteiligung der sozialen Berufe!"
Ohnehin halten Experten die Sonderzahlung nur für einen Tropfen auf dem heißen Stein. Der Sozialverband "VdK" äußerte jetzt, der Pflegebonus ändere nichts an der "systematischen Benachteiligung der sozialen Berufe". Der "Sozialverband der Kriegsbeschädigten, Kriegshinterbliebenen und Sozialrentner Deutschlands" ist mit fast zwei Millionen Mitgliedern der größte Sozialverband Deutschlands. Die Präsidentin des Verbandes, Verena Bentele, sagte der "Neuen Osnabrücker Zeitung", nötig seien jetzt schlicht bessere Rahmenbedingungen, auf allen Ebenen. Sprich: Vor allem mehr Geld und bessere, verlässlichere Arbeitszeiten.
Durchschnittsverdienst: 2400 Euro ohne Abzüge
Dem renommierten "Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung" in Nürnberg zufolge verdienen ausgebildete Krankenpfleger im Bundesdurchschnitt rund 2400 Euro brutto, wobei Sachsen-Anhalt mit 2100 Euro das Schlusslicht bildet und Baden-Württemberg mit gut 3000 Euro das meiste Geld zahlt.
Minister Spahn forderte jetzt, dass Pflegekräfte im ganzen Land nicht weniger als 2500 Euro verdienen sollten, was bei einer vollen Beschäftigung einem Stundenlohn von rund 14 Euro entsprechen würde. Wenig genug, dennoch rief der Vorschlag des Ministers die Pflege-Arbeitgeber sofort auf den Plan. Der "Bundesverband der privaten Pflegeanbieter" (bpa) vertritt nach eigenen Angaben rund 8000 Pflegeeinrichtungen im ganzen Land.
Verbandspräsident Rainer Brüderle, der frühere Bundeswirtschaftsminister von der FDP, bemängelte, Spahn werfe "eine völlig willkürlich gegriffene Zahl in den Raum, die weder spezifiziert noch wirtschaftlich fundiert ist". Und weiter: "Statt populistisch über Zahlen zu fabulieren, sollte der Bundesgesundheitsminister seiner ureigensten Aufgabe nachkommen und endlich Vorschläge vorlegen, wie höhere Löhne finanziert werden."
Immer mehr alte Menschen, immer teurere Pflege
Tatsächlich ist die Pflege etwa in Heimen teuer, die gesetzliche Pflegeversicherung trägt in den seltensten Fällen alle Kosten. Immer mehr Menschen werden immer älter und damit pflegebedürftig. Eine aktuelle Umfrage des Sinus-Instituts zeigt: Rund ein Fünftel der jungen Menschen in Deutschland kann sich theoretisch vorstellen, in der Pflege zu arbeiten, aber nur vier Prozent sind "sehr interessiert". Für Professor Stefan Sell, einem Experten für Sozial- und Arbeitsmarktfragen der Hochschule in Koblenz, ist das kein Wunder: "Ganz offensichtlich haben die jungen Menschen einen guten Riecher, wie es in der Realität der Pflegeberufe mit der Bezahlung aussieht. In großen Teilbereichen, vor allem in der ambulanten und stationären Altenpflege, einfach nur unterirdisch, gerade vor dem Hintergrund der fachlichen Anforderungen, die mit den Berufsbildern einhergehen (sollten)", erklärte Sell jetzt in einem Aufsatz.
Nur wenig neue Stellen besetzt
Die geringe Bezahlung ist denn offenbar auch der Grund, warum eine weitere Initiative der Regierung, weit vor Corona vor anderthalb Jahren beschlossen, noch nicht richtig gegriffen hat: Der Bundestag beschloss damals, dass es in der Altenpflege 13.000 zusätzliche Stellen geben sollte. Nach Angaben des ARD-Fernsehens sind bis jetzt aber nur etwa 2.600 dieser neuen Stellen besetzt. Grund sei, so der "Spitzenverband der gesetzlichen Krankenkassen" (GKV) der nach wie vor große Mangel an Fachkräften.
Macron ehrt die Pfleger, die protestieren trotzdem
Ein Blick ins Ausland zeigt: Nicht nur Deutschland bezahlt Pflegekräfte zu gering und findet zu wenig Menschen, die diesen anstrengenden Job machen möchten. Auch in Frankreich ist die offizielle Politik immer noch voll des Lobes über die Leistungen etwa von Krankenpflegern während der Corona-Krise.Als jetzt wie immer am 14. Juli der Nationalfeiertag in Paris begangen wurde, gab es erstmals seit Kriegsende keine große Militärparade, stattdessen waren Pfleger, Supermarkt-Kassierer und Polizisten Gäste von Präsident Macron auf der Ehrentribüne. Aber auch nach dieser Geste ist die Kritik an der Behandlung etwa der Pflegekräfte nicht verstummt. Am Rande der Feier schickten Aktivisten ein Banner mit der Aufschrift in die Luft: "Hinter den Ehrungen lässt Macron die Krankenhäuser ersticken." Mediziner und Pfleger beklagten einen Mangel an Schutzmasken und Kosteneinsparungen. Tatsächlich bemängelten die Betroffenen während der Corona-Krise im ganzen Land: Es gebe zu wenig Ausrüstung und zu wenig Personal. Sechs Milliarden Euro hat die Regierung nun zugesagt, um Pflegekräfte besser zu bezahlen, Experten bezweifeln, dass das reicht, um wie von Präsident Macron versprochen den Helden der Corona-Krise 200 Euro mehr an Gehalt zu gewähren.