Kraftwerk ist überall
15. August 2013Im Ausland, und gerade in den USA, steht die Düsseldorfer Formation für das Qualitätssiegel "Made In Germany" wie keine andere Band. Perfektion, Innovation, Kühle, Distanziertheit und Genauigkeit sind die Attribute, mit denen die Düsseldorfer Elektropioniere von der Musikkritik gerne beschrieben werden. Die einzelnen Bandmitglieder sehen sich auch nicht als Musiker sondern vielmehr als Techniker, Soundarbeiter und Maschinisten. Bei Konzerten pflegen sie gerne ihr Roboterimage und ließen auch schon mal selbst gebaute roboterähnliche Puppen auf der Bühne ihre Sounds spielen während sie unerkannt selber im Publikum standen.
Kraftwerks Einfluss auf Künstler und Musiker ist weltweit: David Bowie, Depeche Mode oder Moby sind bekennende Kraftwerk-Fans. Selbst die Technoszene Detroits oder aktuell das französische Elektroduo Daft Punk wurden und werden von den elektronischen Experimenten der Düsseldorfer Band geprägt.
"Wir waren uns darüber im Klaren, dass wir weder im Mississippi-Delta aufgewachsen sind noch in Liverpool", erzählt das ehemalige Kraftwerk-Mitglied Karl Bartos rückblickend. "Wenn du dann einen eigenen Sound entwickeln willst, musst du neue Wege gehen oder zumindest die Perspektive verändern", so Bartos weiter. Die Maschinen hätten ihnen dafür die Türen geöffnet. Denn Gitarre spielen konnten sie nicht wirklich.
Neuer Sound
Mit zum Teil selbst gebastelten Synthesizern, Verzerrern oder Hallgeräten verfolgten Kraftwerk die Philosophie der Music Concrète, des italienischen Bruitismus oder die Ideen eines Karl-Heinz Stockhausens konsequent weiter. Industrieller Lärm und Alltagsgeräusche der Stadt und der Natur werden aufgezeichnet oder gezielt mit präparierten Instrumenten hervorgerufen und im Studio manipuliert. So tauchen auf dem Debütalbum der Band das Zirpen von Grillen auf, und bei ihrer internationalen Hitsingle "Autobahn" haben sie während einer Autofahrt Straßengeräusche und das Hupen der Kraftfahrzeuge mit einem Kassettenrekorder aufgenommen. Das Überholen eines Autos imitieren sie mit Synthesizerklängen ihres Mini-Moogs.
Was Rainer-Werner Fassbinder für den Film war, waren Kraftwerk für die Musik, so Karl Bartos. Musikkritiker vergleichen "Autobahn" sogar mit Smetanas "Moldau". Sie schaffen etwas Neuartiges und verleugnen dabei nicht ihre eigene kulturelle Vergangenheit, sondern gehen spielerisch, humoristisch und zum Teil ironisch damit um. So hört man im Song "Himmel hoch" Fliegerbombengeräusche - ein gewagtes Statement Anfang der 1970er Jahre.
Mit den drei Alben "Autobahn", "Radioaktivität" und "Trans-Europa-Express" steigt vor allem auch das internationale Ansehen von Kraftwerk. Die gerade entstehende Musikrichtung und Jugendbewegung Hip-Hop entdeckt ihre Sounds und baut sie als Grundlage für ihren Sprechgesang mit ein. Ein Klassiker dieses Musikgenres von Afrika Bambaataa "Planet Rock" bezieht sich auf "Trans-Europa-Express".
Kraftwerk goes Pop
Kraftwerks Elektrosounds eignen sich aber nicht nur zum Samplen, sie bieten die ästhetische Blaupause für viele neu entstandenen Musikrichtungen der letzten 30 Jahre: Der Synthiepop der New Romantics in Großbritannien Anfang der 80er Jahre von Bands wie Depeche Mode, Ultravox, die frühen Simple Minds oder Human League hat sie kopiert. Für Marc Almond von Soft Cell sind Kraftwerk sogar die wichtigsten Vertreter des Elektropop.
Ihre kalt und steril wirkenden Klanggebäude, die verzerrten Computerstimmen und die oft bedeutungsarmen, knappen Texte kreieren eine einzigartige Atmosphäre - die Grundlage für den kühlen, harten Sound der so genannten 'Body Electronic' Musik belgischer Bands wie Front 242 oder Laibach aus Slowenien. Dessen Frontmann Ivan Novak betrachtet Kraftwerk sogar als die wichtigste Band aller Zeiten. Ähnlich weit geht Andy McCluskey vom britischen Duo Orchestral Manouevres in the Dark. Für ihn sei es eine Offenbarung gewesen, als er Mitte der 70er Jahre zum ersten Mal Kraftwerk-Songs gehört hätte. Das zweite Album von OMD ist sogar nach dem Vorläuferprojekt von Kraftwerk "Organisation" benannt.
In den 80ern sind Kraftwerk auch in Deutschland regelrechte Popstars. Bravo und Feuilleton begleiten jeden neuen Soundschnippsel mit langen Artikeln. Mit dem Album "Computerwelt" nimmt die Band nicht nur inhaltlich das Problem des gläsernen Menschen vorweg ("Interpol und Deutsche Bank, FBI und Scotland Yard / Flensburg und das BKA / haben unsere Daten da."), sondern auch den minimalistischen Sound der Technobewegung Ende der 80er, Anfang der 90er Jahre in Detroit. Für den weltbekannten Musiker Moby gehören Kraftwerks Gesamtwerk zu seinen absoluten Favoriten und der britische Elektro- und Technopionier Karl Hyde von Underworld behauptet gar, dass es keine Elektroband geben würde, die Kraftwerk nichts schuldig wäre.
Kraftwerk als Gesamtkunstwerk
Kraftwerks Klangwelten sind nicht nur geprägt von Minimalismus und Abstraktion, sondern auch durch ihre Bilderwelten und Videoästhetik. Kunstkritiker sprechen von Retrofuturismus. Und dieser hat Kraftwerk auch schon ins Museum gebracht. So spielten sie jeweils acht aufeinanderfolgende Konzerte im Museum of Modern Art in New York, in der Tate Gallery in London oder in der NRW-Kunstsammlung ihrer Heimatstadt Düsseldorf. Begleitet von Ausstellungen ihrer Videos oder 3-D-Bühnen-Installationen ihrer Konzerte, die sich oftmals an Vorbildern aus der Kunstszene orientieren; so zum Beispiel die des russischen konstruktivistischen Künstlers Ei Lissitzky oder der Vorkriegs-Avantgarde eines Kandinskys. Sie führen die Bauhaus-Philosophie einer Verschmelzung von Kunst und Technologie ins neue Jahrtausend.
Auch heute noch scheint der Einfluss Kraftwerkscher Ästhetik nachzuwirken. Das französische Elektroduo Daft Punk, das mit ihrer Single "Get lucky" und dem Album "Random Access Memories" Platz 1 in Deutschland belegte, versteckt sich auf dem Plattencover und bei öffentlichen Auftritten hinter futuristischen Motorradhelmen, macht sich rar, fast unsichtbar – ähneln damit sehr den roboterähnliche Puppen von Kraftwerk. Selbst Presseauftritte und Interviews im britischen Fernsehen wurden von diesen Puppen "durchgeführt". Eine Popgruppe als System, als Maschine – das war und ist das künstlerische Diktat von Urmitglied Ralf Hütter. Oder wie Krautrock-Legende Holger Czukay bewundernd feststellt: Das Prinzip der Aufgabe eines Bandgefüges zugunsten des Klangdesigns.
Weitere Musiktipps für die eigene "Kraftwerk-Spurensuche"
Rammstein: "Das Model"
Senor Coconut: "The robots”
Fatboy Slim: "Radioactivity"
Erdmöbel: "Das Model"
New Order: "Blue Monday"
Westbam: "Monkey say monkey do"
Depeche Mode: "Dream on”
Jay-Z: "It’s alright"
R.E.M. : "King of Comedy”