Gericht stärkt Kunstfreiheit
31. Mai 2016Beats aus fremden Musikstücken oder original gesprochene Zitate in den eigenen Song einbauen, das nennt man "Sampling". Gerne werden da Politikerreden digital bearbeitet und zum Beispiel in einen Rap-Song umgewandelt. Auch Musikzitate aus Beethovensinfonien oder gregorianischen Gesängen waren gerade in den 1990er Jahren bei Samplern sehr beliebt.
Produzent und Komponist Moses Pelham hatte 1997 den alten Song "Metall auf Metall der Gruppe Kraftwerk von 1977 für sich entdeckt. Genau zwei Sekunden hatte er kopiert und damit seinen eigenen Song "Nur mir", gesungen von Sabrina Setlur, in Endlosschleife unterlegt. Um Erlaubnis hatte Pelham die Elektropop-Gruppe nicht gefragt. So reagierte Kraftwerk promt mit einer Unterlassungs- und Entschädigungsklage, die über die Jahre durch sämtliche gerichtliche Instanzen ging. Schließlich habe es die Gruppe viel Zeit gekostet, das Stück mit Tonbändern und noch ohne digitale Technik zu produzieren, begründete Ralf Hütter, einer der Gründer der Gruppe, seine Klagen.
Urheberrecht gegen Kunstfreiheit
Der Bundesgerichtshof hatte zuletzt 2012 Ralf Hütter recht gegeben: Das Lied "Nur mir" durfte in der umstrittenen Fassung aus urheberrechtlichen Gründen nicht mehr vertrieben werden. Das "Sampeln" sei zwar grundsätzlich zulässig, aber es dürften keine Melodien oder Klänge "geklaut" werden, die die Künstler auch selbst einspielen könnten. In der Fachsprache nenn man dies das "Kriterium der Nachspielbarkeit".
Hätte Moses Pelham die Tonsequenz selbst eingespielt und nicht den Originalklang kopiert, dann wäre es also erlaubt gewesen? Die Sache blieb umstritten, denn Pelham sah sich in seiner Kunstfreiheit verletzt. Es sei unmöglich, sich mit Tonaufnahmen aus der Vergangenheit auseinanderzusetzten, wenn man nicht - wie im Hip-Hop üblich - die Originalklänge kopieren dürfte. Der Streit spaltete die Musikbranche.
Die Kunstfreiheit ist in Deutschland gesetzlich verankert und besagt, dass jeder sich künstlerisch frei äußern darf, das heißt, auch seine Meinung über Kunst und Musik äußern darf und das ganz unabhängig davon, ob andere das Ganze tatsächlich als Kunst ansehen. Das wiederum bedeutet, dass der Künstler auch frei in der Wahl seiner Mittel ist, sofern er dabei nicht gegen andere Gesetze wie etwa das Persönlichkeitsrecht oder den Schutz des geistigen Eigentums anderer verstößt.
Etappensieg vor dem Verfassungsgericht
Mit Unterstützung von Musikproduzenten und Musikern wie Sarah Connor oder Rapper Bushido haben Moses Pelham und Sabrina Setlur deshalb 2012 gegen das Urteil des Bundesgerichtshofs eine Verfassungsklage eingereicht. Mit Erfolg, wie es scheint, denn das Bundesverfassungsgericht hat jetzt das Urteil aufgehoben.
Die Begründung: Die ursprünglichen Urteile des Bundesgerichtshofs hätten das Gesetz der Kunstfreiheit nicht hinreichend berücksichtigt, sagte Vize-Gerichtspräsident Ferdinand Kirchhof bei der Urteilsverkündung. Die von Pelham verwendete Sequenz sei so kurz, dass ein neues, eigenständiges Kunstwerk entstanden sei, ohne dass Kraftwerk einen wirtschaftlichen Schaden erlitten habe. Das heißt, Komponisten dürfen nach dem Urteil grundsätzlich Tonschnipsel aus fremden Musikstücken verwenden, ohne die sogenannten Lizenzinhaber um Erlaubnis zu fragen. Vorausgesetzt das Ganze geschieht in so geringfügigem Umfang wie im Fall Pelham. Der Bundesgerichtshof muss sein Urteil zur Unterlassung des Songs "Nur mir" jetzt noch einmal überprüfen. Deshalb ist das heutige Urteil nur ein Etappensieg für Pelham und Setlur.
Musikindustrie begrüßt Urteil
Trotzdem ist Pelham erleichtert: "Ich bin mit dem Urteil sehr glücklich. Ich glaube, dass es für die Fortentwicklung der Kunst ein sehr, sehr wichtiges Urteil ist." Florian Drücke vom Bundesverband Musikindustrie war bei der Verhandlung dabei. Er hatte befürchtet, ein generelles Grundsatzurteil zugunsten Pelhams könne Tür und Tor für Plagiate etwa im Internet öffnen. "Das Urteil zeigt, wie kompliziert die Abwägung von Kunstfreiheit und Eigentumsrecht ist." Schließlich werde der Fall bereits seit 20 Jahren verhandelt und sei auch jetzt noch nicht zu Ende, sagte er der Deutschen Welle. "Es ist kein Urteil gefällt worden, das generell sagt, dass Kunst das geistige Eigentum sticht."
Nun seien auch die Gesetzgeber gefragt, das Recht auf geistiges Eigentum zu schützen. "Normalerweise finden Künstler ja bei solchen Fragen zusammen, was auch hier wünschenswert gewesen wäre. Es bleibt spannend, wie es weiter geht - wichtig ist, dass es nicht zu einer Enteignung durch die Hintertür führt", meint Drücke und denkt dabei an eine entsprechende Vergütung, wenn Künstler andere Künstler kopieren. Entsprechende Gesetze müssten europaweit gelten. "Das Ganze fließt ein in die europäische Diskussion über die Vereinheitlichung des Urheberrechts", meint Drücke und sieht letztendlich den Europäischen Gerichtshof als letzte Instanz für ein Grundsatzurteil zum geistigen Eigentum unter Berücksichtigung der Kunstfreiheit. Eine Bezahlpflicht schlugen auch die Verfassungsrichter heute vor. Ebenso, dass der BGH den Fall dem Europäischen Gerichtshof vorlegen soll.
Der Streit Kraftwerk gegen Pelham wird die Gerichte also weiter beschäftigen. Dabei wäre alles vielleicht gar nicht so weit gekommen, hätte Moses Pelham nur einmal zum Telefonhörer gegriffen. So sieht es jedenfalls auch Ralf Hütter von der Gruppe Kraftwerk, denn: "Unter Kollegen hätte es sich gehört, vorher anzurufen."