"Die Boote können zur Todesfalle werden"
8. Juli 2013Vor der Küste von San Francisco läuft in diesen Tagen die Herausforderer-Serie im America's Cup. Unweit der weltberühmten Golden Gate Bridge ermitteln die Segler den Gegner und Herausforderer für das Finale des America's Cups gegen das Titelverteidiger Boot Oracle aus den USA. Doch die 34. Auflage der bekanntesten und ältesten noch ausgetragenen Segelregatta der Welt wird von Debatten um die Sicherheit und die Kostenexplosionen überschattet.
Der alle drei Jahre veranstaltete Wettbewerb steht seit dem tödlichen Trainingsunfall des britischen Olympiasiegers Andrew Simpson massiv in der Kritik: Die neuen Boote seien zu schnell und zu gefährlich. Außerdem schrecken die hohen Entwicklungskosten für die neuen Hightech-Katamarane offenbar viele Teilnehmer ab. Diesmal sind mit Neuseeland, Italien und Schweden nur drei Herausforderer am Start. Für den deutschen Profi-Segler Tim Kröger ein schlechtes Zeichen für seinen Sport. Der 48-Jährige zählt zu den besten Seglern der Welt und wünscht sich im DW-Interview eine Rückbesinnung auf alte Werte im Segelsport.
DW: Der America’s Cup hat eine lange Geschichte. Was macht ihn letztendlich aus?
Tim Kröger: Der America's Cup hat natürlich durch seine mystische Historie eine unglaubliche Strahlkraft. Er ist die älteste, noch ausgetragene internationale Sportveranstaltung der Welt und das hat schon etwas ganz Besonderes. Als ich mit dem südafrikanischen Team "Shosholoza" in Valencia am America's Cup teilgenommen habe, stand ich irgendwann vor dieser großen silbernen Kanne und schaute sie mir an und dachte: Diese Trophäe hätte ich auch ganz gerne mal in den Händen.
Was denken Sie über den diesjährigen America's Cup mit seinen riesigen Segel-Ungetümen, den Hightech-Katamaranen und den gerade mal drei Herausforderern, die teilnehmen?
Es ist schlichtweg eine Katastrophe, dass so wenig Teilnehmer dabei sind. Es liegt einfach am Format und daran, dass eine neue Bootsklasse initiiert wurde, die zu teuer ist. Das ist Experimentalkino, das ist megateuer, was sich die Veranstalter ausgedacht haben, und dazu dem Publikum nur sehr schwer vermittelbar. Klar ist es super, auf so einem Boot zu segeln. Das sind tolle Boote, die fantastisch fahren – aber sie sind eben auch extrem gefährlich.
Kann man die Bootsklasse denn überhaupt beherrschen?
Ich glaube, man kann die Boote der sogenannten AC 72-Klasse beherrschen. Als die Segler anfingen auf Foils [kleine Stützen unter dem Rumpf, Anm. d. Red.] zu fahren, haben alle gedacht, das sind Photoshop-Bilder, also nicht echt. Aber sie machen es tatsächlich und segeln auch Manöver damit - das ist schon gigantisch. Aber die Gefahr ist einfach da und die Boote sind nur Prototypen. Wenn sie nicht korrekt gebaut sind und wenn es irgendwelche technischen Probleme gibt, kann so ein Boot zur Todesfalle werden, wie im traurigen Fall von Andrew Simpson.
Haben die Veranstalter das Rad zu weit gedreht?
Eindeutig: Ja! Die Frage ist, ob die monströsen Katamarane überhaupt zum America's Cup und zum "Match Race" Format passen. Bei solchen Booten, die so extrem schnell fahren, haben wir das Problem, dass wir bei großen Geschwindigkeiten ein Auseinanderfallen der zeitlichen und räumlichen Distanz haben. Das heißt, die Boote liegen zeitlich sehr nah beieinander, räumlich aber zeitweise unheimlich weit auseinander. Das kann man einem Zuschauer, der vom Segeln keine Ahnung hat, nicht vermitteln. In Valencia sind wir mit den Booten sehr, sehr eng beieinander gewesen. Da konnte jeder den Wettbewerb verstehen und das hat einen Teil der damaligen Begeisterungswelle ausgemacht.
Bisher gab es nur Trainingsfahrten mit den neuen Katamaranen. Was erwarten Sie in den Wettkämpfen?
Die Boote sind bis jetzt immer nur geradeaus gefahren, reine Speed-Tests. Aber echte Rennen auf der Regattabahn, besonders im Match Race - also in einem knallharten Duell, in dem es nur einen Sieger geben kann - so etwas haben wir noch gar nicht gesehen. Das kann schon heftig werden für Mensch und Boot. Man kann nur hoffen, dass das Material hält. Aber vor Kenterungen ist man auf einem Katamaran niemals gefeit.
Wenn Sie ein entsprechendes Angebot bekämen, würden Sie auf so ein Boot steigen und mitfahren im America's Cup?
Das wäre eine Entscheidung, über die ich in Ruhe nachdenken müsste. Ich würde es machen, wenn die Bedingungen korrekt sind und das Team stimmt. Ich würde nicht sagen, dass ich es nie machen würde. Ich würde aber auch nicht sofort aus dem Sessel springen und “Hurra” schreien.
Wohin sollte sich der America's Cup entwickeln? Hofft die Segelwelt auf eine Abkehr von den umstrittenen und teuren Katamaran-Riesen, also auf eine Rückkehr zu den Einrumpfyachten?
Das ist schwierig vorherzusagen. Ich würde mir wünschen, dass wir wie 2007 geplant, mit Hochleistungs-Einrümpfern weitermachen. Das hätte auch Teams mit kleineren Budgets Chancen ermöglicht und dem Rennen viel mehr Teilnehmer gebracht.
Das deutsche Jugend-Team um Philipp Buhl nimmt im September am Nachwuchs-Cup in San Francisco teil – gegen den Willen der deutschen Verantwortlichen, die das Team nach dem Tod von Simpson abgemeldet hatten. Sollten die deutschen Segler teilnehmen oder nicht?
Wenn sie mitfahren wollen und das Geld zusammen haben, dann sollen sie starten. Dort segeln sie ja mit einem kleineren Katamaran, dem AC 45. Der ist zwar auch nicht ungefährlich, aber sie zu stoppen, ist Unsinn. Diese Jungs sind erwachsen und müssen ihre eigenen Erfahrungen sammeln. Außerdem ist fast jeder Wettkampf auf hohem Niveau auch eine bereichernde Zwischenetappe auf dem Weg zu den Olympischen Spielen in Brasilien. Dort wollen diese Nachwuchsathleten Medaillen gewinnen. Dafür können sie jede anspruchsvolle Erfahrung gut gebrauchen.
Das Interview führte Andrea Krüger.