"KP Chinas in erster Linie für sich selbst im Einsatz"
7. Februar 2020Deutsche Welle: Wie beurteilen Sie die Leistung der Partei in der aktuellen Krise?
Lifan Zhang: Obwohl die Parteiführung nach der SARS-Krise 2002/2003 viel versprochen hat, was Modernisierung der Regierungsführung und Etablierung effektiver Mechanismen zum Krisenmanagement betrifft, sieht man jetzt: In den vergangenen 17 Jahren hat sich nichts Substanzielles getan. Deswegen wiederholt sich jetzt das Versagen der Führung, mit viel größeren Auswirkungen.
Es zeigt sich, dass das Coronavirus nicht nur Menschen ansteckt, sondern das politische System. Das System der Regierungsführung stammt noch aus feudalen Zeiten. Es ist überhaupt nicht modern und kann deswegen im Krisenfall nicht funktionieren.
Was kritisieren Sie konkret?
Die zu spät eingeleiteten Maßnahmen gegen die mysteriösen Lungenerkrankungen und die schnelle Ausbreitung des Virus sind ganz klar eine Folge der Zensur. Den Machthabern ist das Recht auf freie Meinungsäußerung egal, wenn es um die Stabilität geht, Stabilität der KP-Führung. Sie sind bereit, alles zu opfern, um dieses Ziel zu erreichen.
Dann schauen wir uns mal die Zusammensetzung der achtköpfigen zentralen Stabsstelle zur Bekämpfung des Virus unter Leitung von Ministerpräsident Li Keqiang an. Hier sitzt kein Mediziner am Tisch. Zwei Mitglieder sind für Propaganda zuständig. Der Außenminister ist ebenfalls Mitglied. Also Leute, die keine Ahnung haben, sagen nun den Ärzten, was diese zu tun haben.
Wie versucht die Partei, von ihren Fehlern abzulenken?
Das ist genau die Aufgabe dieser Stabsstelle: Schadensbegrenzung im In- und Ausland, des Schadens am Ansehen der Partei wohlgemerkt. Im Inland schränkt sie Zugang zu Informationen ein und bringt "positive Energie" unters Volk. Das Staatsfernsehen sendet Lobgesänge des Auslands auf die Leistung der Führung in der Krise. Die kommen vor allem von Ländern, die mächtig von Chinas Geldern profitiert haben.
Auf der internationalen Bühne werden die Versäumnisse der KP im Kampf gegen das Virus heruntergespielt. Die Regierung hat die Lobbyarbeit bei der Weltgesundheitsorganisation (WHO) verstärkt, um die Verkündung einer "gesundheitlichen Notlage von internationaler Tragweite" möglichst lange hinauszuschieben. (Am 30.1. erklärte die WHO diese Notlage, lehnte aber eine Reisewarnung ab. Anm. d. Red.)
Ist die Herrschaft der Partei in Gefahr?
Zu Zeiten von Mao Zedong und Deng Xiaoping gab es noch kein Internet. Über das Netz machen jetzt Nachrichten, vor allem schlechte Nachrichten, blitzschnell die Runde. Diese Tatsache stellt die KP-Regierung vor die größte Herausforderung. Die Zensur und Einschränkung der Meinungsfreiheit gelingen nicht immer. Das Volk ist nicht dumm. Auch viele Parteifunktionäre wissen, dass sie die Unwahrheiten sagen.
Größerer Volkswiderstand ist allerdings unwahrscheinlich, denn die Menschen haben Angst vor dem Virus und meiden Versammlungen. Die Machthaber dagegen fühlen sich derzeit ganz wohl in ihrem kriegsähnlichen Zustand. In und um Wuhan wurde quasi das Kriegsrecht verhängt, Soldaten und Spezialkräfte sind im Einsatz. Auch die Verteilung von Gütern wird zentral gesteuert. Gleichzeitig nutzt die KP moderne Überwachungstechnologien, um die Menschen noch stärker unter dem Vorwand der Virusbekämpfung zu kontrollieren. Alle Akteure, Nachbarschaftskomitees und Behörden, werden in einem Raster vernetzt, für das ultimative Ziel der Totalüberwachung.
Wie wird die KP weiter agieren?
Sie verfährt weiter nach dem Motto: Berichte nur gute und verschweige schlechte Nachrichten! Bevor eine schlechte Nachricht öffentlich wird, wird sie erst mal verschwiegen. Wird sie trotzdem öffentlich, wird sie von einer schlechten zu einer guten Nachricht umgedeutet. Solange die Obrigkeit nichts sagt, sagen alle die Unwahrheit. Sobald die Obrigkeit eine Position bezogen hat, verfallen alle in Aktionismus, wie in jedem autoritär regierten Land. Für die Leidtragenden ist es allerdings zu spät.
Lifan Zhang ist ein kritischer Historiker und politischer Kommentator. Er lebt in der chinesischen Hauptstadt Peking.
Das Interview führte William Yang.