1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen
PolitikEuropa

Familienliebe schützt nicht vor Corona

Lindita Arapi
21. August 2020

Kosovo gehört zu den Ländern, aus denen in den letzten Wochen die meisten Corona-Infizierten nach Deutschland eingereist sind. Rückkehrer berichten von Familientreffen, bei denen Distanz-Regeln nicht eingehalten wurden.

https://p.dw.com/p/3hIJi
Coronavirus-Testzentrum am Flughafen Köln-Bonn
Coronavirus-Testzentrum am Flughafen Köln-BonnBild: picture-alliance/Geisler/C. Hardt

Drei Wochen schöne Familienferien im Kosovo - und dann Quarantäne in Deutschland: "Wir sind Anfang August aus dem Kosovo mit dem Auto über Serbien, Ungarn, die Slowakei, Tschechien zurückgefahren. Wir wussten nicht einmal, dass wir infiziert waren. Als wir angekommen sind, haben wir den Test gemacht und meine Frau war positiv. Sie hatte aber keine Symptome." N.H. aus Dortmund sprach mit der DW unter der Bedingung, dass nur die Initialen seines Namens veröffentlicht werden. Er selbst und die Kinder seien nicht infiziert.

Es ist nicht leicht, infizierte Rückkehrer aus dem Kosovo zu finden, die bereit sind, von ihren Erfahrungen zu erzählen. Viele versuchen, der Quarantäne zu entgehen - aus Scham und vor allem aus Angst, den Job zu verlieren.

Das Virus - ein Tabu

Gegen diese Tendenz stellt sich der Arzt Ilir Arifi aus Bayern. Er möchte seine Erfahrung öffentlich machen, weil das Virus zu einem Tabu im Kosovo geworden ist. Er hat sich wahrscheinlich auch während eines Besuchs in seiner alten Heimat infiziert. Dort hat der Arzt 56 Menschen auf ihren Wunsch hin behandelt. Die ersten Anzeichen merkten er und seine Frau vor gut zwei Wochen am Münchener Flughafen, wo sie auch getestet wurden. Nun befinden sie sich in Quarantäne. "Ein großes Problem der Pandemie im Kosovo ist, dass die Menschen ihre Krankheit verbergen. Die Infektion ist mit einem Schamgefühl verbunden. Sie haben Angst, dass ihre Familie stigmatisiert wird oder dass sie ihre Arbeit verlieren. So kann man aber der Lage nicht Herr werden," sagt Arifi.

Ilir Arifi, Arzt aus dem Kosovo
Ilir Arifi, Arzt aus dem Kosovo: "So kann man der Lage nicht Herr werden."Bild: privat

Laut Robert-Koch-Institut zählt Kosovo zu den Ländern mit den meisten infizierten Deutschland-Rückkehrern. Laut Statistik des nordrhein-westfälischen Gesundheitsministeriums vom letzten Donnerstag (20.08.) kamen 36,3 Prozent der in NRW positiv getesteten Rückkehrer in den letzten zwei Monaten aus dem Kosovo. 

"Wir wissen nicht, wo wir infiziert wurden - vielleicht auch auf dem Rückweg. Wir wissen von keinen Infizierten in unserer Familie." N.H. versucht zu verstehen, wo seine Frau sich das Virus geholt hat. Dann erwähnt er zufällig: "Sie hat doch nur ihre Schwester und die Familie in Mitrovica besucht." Auch der Arzt Ilir Arifi, der gerade alle Symptome der COVID-19-Krankheit durchmacht, sagt, dass er eine große Familie hat, die er selten sieht. Deshalb sei er trotz Corona in diesem Sommer überhaupt nach Kosovo gefahren. 

Familientreffen ohne Maske und Distanz

Die Familie! Emigranten freuen sich riesig, in den Sommerferien in die Heimat zurückkehren. Sie können es kaum erwarten, die Mutter zu umarmen oder Verwandte zu besuchen. Kann man jemandem, der nur einmal im Jahr seine Verwandtschaft sieht, sagen, er dürfe nicht zur Hochzeit seiner Schwester gehen? Einem Verwandten nicht persönlich zur Geburt des Kindes gratulieren? Keinen Pflichtbesuch bei einem Todesfall abzustatten?

Fahri Beqa
Mediziner Fahri Beqa: "Schutzmaßnahmen werden nicht respektiert."Bild: Privat

Wenn man von Familie im Kosovo spricht, meint man auch Großeltern, Cousinen und Cousins, Onkel und Tanten, und so kommen schnell einige Dutzend liebe Menschen zusammen. Bei der aktuellen Lage der Pandemie im Kosovo wächst dann das Infektionsrisiko bei jedem Familientreffen und bei jeder Feier. 

Fajri Beqa, Facharzt für Innere Medizin und Kardiologie, stammt aus dem Kosovo. In seiner Praxis in Berlin berät oder behandelt er seit Wochen Kosovo-Rückkehrer. Mit oder ohne Corona. Die Familienfeiern sind für ihn der Hauptgrund für die aktuell hohe Zahl der Infektionen im Kosovo. In den letzten zwei Monaten ging die Tradition der Diasporabesuche weiter, erzählt er der DW. "Die häufigste Geschichte, die ich höre, ist, dass die Leute das Virus bei einem Familientreffen bekommen haben. Bei einfachen Besuchen, aber auch auf Hochzeiten oder Begräbnissen." Nach drei Monaten strengem Lockdown im Kosovo hätten viele Menschen gedacht, die COVID-19-Krise sei vorbei - Nachlässigkeit habe sich breit gemacht, sagt der Mediziner. Die Folge: Wichtige Schutzmaßnahmen, wie Distanz, Hygiene und Maske würden nicht respektiert.

Auch Rückkehrer N.H aus Dortmund bestätigt: "Die Distanz halten dort zu wenige Menschen ein. In Cafés stehen die Tische nahe bei einander. Die Leute sind nicht vorsichtig." Mediziner Fahri Beqa beobachtete im Kosovo auch eine Tendenz der Virusnegation: "Viele junge Leute verneinen sogar, dass es die Krankheit gibt."

Traditionelle Hochzeit im Kosovo
Traditionelle Hochzeit im Kosovo (2007)Bild: picture-alliance/dpa/V. Hema

Mit dem Virus nach Deutschland

Reiserückkehrer aus dem Kosovo müssen sich testen lassen und sich in Quarantäne begeben, egal, ob sie mit dem Flugzeug oder mit dem Auto nach Deutschland einreisen. Katrin Pinetzki vom Presseamt der Stadt Dortmund sagte der DW, dass Reisende, die mit dem Flugzeug aus Risikogebieten zurückkehrten, direkt am Flughafen zu verpflichtenden Corona-Tests weitergeleitet würden: "Von diesen Menschen bekommen wir also Kenntnis. Alle anderen sind ebenso verpflichtet, sich nach der Rückkehr aus einem Risikogebiet in Quarantäne zu begeben und beim Gesundheitsamt zu melden." Hier setze der Gesetzgeber auf Eigenverantwortung und freiwillige Mitarbeit zum Wohl der Allgemeinheit, fügt Pinetzki hinzu. Es könne auch nur so funktionieren, denn Kontrollen seien aus vielerlei Gründen nicht leistbar.

Weil die Gesundheitsbehörden nicht die nötigen Kapazitäten haben, um die Quarantäne zu kontrollieren, vertraut Deutschland auf das Gewissen der Reiserückkehrer. So wie bei N.H. aus Dortmund, der mit dem Auto eingereist ist. Kontrolliert wurde er nicht. Er betont aber, dass er und seine Familie die Quarantäne respektieren. Auch der Arzt Ilir Arifi sagt, er sei sicher, dass von ihm kein anderer infiziert worden sei: "Ich bin nicht mal bis zur Türschwelle gegangen."

Coronavirus Teststation am Flughafen München
Coronavirus-Teststation am Flughafen MünchenBild: picture-alliance/dpa/M. Balk

Mediziner Fahri Beqa kennt aber auch andere Fälle aus dem Kosovo. "Einige haben die Symptome verneint und sind so nach Deutschland eingereist, ohne sich bei den Behörden zu melden. Eine große Rolle spielt dabei die Angst vor dem Arbeitsverlust." Viele Menschen aus Südosteuropa - auch aus dem Kosovo - arbeiten in Deutschland oft unter prekären Verhältnissen in Branchen, in denen einer Arbeitskraft bei Krankheit mit Entlassung gedroht wird.

Laut Beqa haben diese Menschen andere in Deutschland infiziert. Wie viele Rückkehrer sich nicht getestet haben oder die Quarantäneregeln sogar gebrochen haben, kann aber niemand sagen.