Korruption kein Hindernis für deutsche Firmen?
3. Oktober 2021"Bulgarien könnte sich so viel besser entwickeln, wenn nicht 10 bis 20 Prozent des Volksvermögens in die Taschen einiger weniger abfließen würden. Es versickert zu viel und eine wirkliche Strafverfolgung findet nicht statt, geschweige denn Verurteilungen wegen Korruption", sagt Martin Kothé, Büroleiter der Friedrich-Naumann-Stiftung in der bulgarischen Hautpstadt Sofia, der DW. In einem jährlichen "Schwarzbuch" veröffentlicht Kothé die schlimmsten Fälle von Steuergeldverschwendung in Bulgarien. Mehr noch als das "Schwarzbuch des Bundes der Steuerzahler" in Deutschland ist das bulgarische Pendant ein sensibles Politikum. "Denn Steuergelder werden hier zu oft zielgerichtet verschwendet", wie Kothé ergänzt.
Unzufrieden mit Ausmaß und mangelhafter Bekämpfung von Korruption sind auch deutsche Unternehmen in dem EU-Land auf dem Balkan. Eine aktuelle Umfrage der Deutsch-Bulgarischen Industrie- und Handelskammer zeigt, dass ganze 47 Prozent der deutschen Unternehmen sehr unzufrieden und weitere 34 Prozent eher unzufrieden mit der Korruptionsbekämpfung in Bulgarien sind. Im Vergleich dazu waren gerade einmal zwei Prozent eher zufrieden und null Prozent sehr zufrieden. Ein vernichtendes Zeugnis, dass die deutsche Wirtschaft da ausstellt - könnte man meinen.
Doch tatsächlich ist die Gesamtzufriedenheit der deutschen Wirtschaft mit Bulgarien enorm: Ganze 97 Prozent der dort ansässigen deutschen Unternehmen würden wieder nach Bulgarien gehen, 50 Prozent geben dem Standort die beste oder zweitbeste Note. "Auf den ersten Blick ist das natürlich ein Widerspruch: Hier die Unzufriedenheit mit Korruption und Rechtsstaat, dort die wirklich überwältigende Zufriedenheit", sagt Mitko Wassilew, der Leiter der Deutsch-Bulgarischen Industrie- und Handelskammer in Sofia, der DW. "Aber Korruption ist eben nur einer von vielen Standortfaktoren. Unserer Erfahrung nach sind deutsche Unternehmen so gut wie gar nicht persönlich von Korruption betroffen. Die Umfragewerte spiegeln also eher die generelle Unzufriedenheit im Land wider", so Wassilew.
Einen Schlüssel, um diesen Widerspruch aufzulösen, bieten Wirtschaftszahlen: Deutschland ist Handelspartner Nummer Eins für Bulgarien. Anders als in anderen Ländern stieg der Handelsumsatz zwischen der Bundesrepublik und Bulgarien im ersten Halbjahr 2021 um fast 650 Millionen im Vergleich zum Vor-Corona-Jahr 2019. Gleichzeitig lobt die deutsche Wirtschaft die traditionelle Deutschfreundlichkeit in Bulgarien, die motivierten Arbeitskräfte, die niedrigen Arbeitskosten und die geringe Steuerlast. Boomende Geschäfte und niedrige Kosten zählen für die deutschen Unternehmen im Land offenbar mehr als Korruption und Rechtsstaatlichkeit.
Bulgarien und Rumänien nicht in einen Topf werfen
Anders stellt sich die Lage im Nachbarland Rumänien dar. "Man darf Bulgarien und Rumänien nicht immer in einen Topf werfen", mahnt Sebastian Metz, Geschäftsführer der Deutsch-Rumänischen Industrie- und Handelskammer in der rumänischen Hauptstadt Bukarest. "Beide Länder vereint die typisch postkommunistische Korruption, der EU-Beitritt 2007 und das spezielle Monitoring durch die EU. Aber in Rumänien hat sich die Lage in Sachen Korruption dank der Anti-Korruptionsmaßnahmen deutlich gebessert und ich kenne keine deutschen Unternehmen, die selbst direkt von Korruption betroffen sind."
Diese Einschätzung teilt auch der Korruptionsexperte Sorin Ionita des rumänischen Think Tanks Expert Forum. "Die 15 Jahre von der EU inspirierter Antikorruptionsbemühungen, insbesondere mit der Gründung der Nationalen Anti-Korruptionsbehörde (DNA), haben den Ausschlag gegeben", sagt er der DW. "Es gibt einen Abschreckungseffekt, vor allem in den Regionalverwaltungen und vor allem dann, wenn diese mit großen Unternehmen und Ausländern zu tun haben."
Korruption bleibt ein ernstes Problem
Auch in einer Konjunkturumfrage unter deutschen Unternehmen in Rumänien zeigen sich die Firmen optimistisch: 29 Prozent sind eher zufrieden, 12 Prozent sogar sehr zufrieden mit der Bekämpfung von Korruption und politischer und wirtschaftlicher Kriminalität in dem südosteuropäischen Land. Eher unzufrieden sind 35, unzufrieden 25 Prozent. "Gleichzeitig bleibt Korruption ein ernstes Problem in Rumänien", so Ionita weiter. "Sie konzentriert sich hier auf das Plündern von Budgets durch Personen mit politischen Verbindungen, die Kontrolle von Staatsunternehmen und der Manipulation öffentlicher Ausschreibungen."
Die EU wird in den nächsten Jahren gigantische Summen zur Überwindung der wirtschaftlichen Folgen der Corona-Pandemie bereitstellen. Allein Bulgarien kann sich Hoffnungen auf fast zwölf Milliarden Euro machen. Davon möchten auch deutsche Unternehmen profitieren. Doch die Angst, dass die EU-Milliarden durch Korruption versickern könnten, ist groß. Die Europaparlamentarierin Sophie in't Veld legte bei ihrem Besuch in der bulgarischen Hauptstadt im September 2021 den Finger in die Wunde: "Die Verfolgung hochrangiger Korruption bleibt problematisch. Wir rufen die Europäische Kommission dazu auf, die Überwachung und Revision von EU-Geldern, inklusive des Wiederaufbau-Fonds, zu verstärken."
Politik soll effektive Kontrollinstrumente schaffen
Vor dem Hintergrund der neuen EU-Corona-Fonds veröffentlichte der Ost-Ausschuss der Deutschen Wirtschaft im September ein Positionspapier zu Südosteuropa. Darin werden regelkonformes Verhalten, transparente Entscheidungsverfahren, Rechtsstaatlichkeit und Korruptionsbekämpfung als "wichtige Faktoren für nachhaltigen wirtschaftlichen Erfolg und die Investitionsbereitschaft deutscher Unternehmen" genannt.
Doch wie soll die Korruption in Südosteuropa effektiv bekämpft werden? Bei Lösungsansätzen halten sich deutsche Wirtschaftsvertreter eher bedeckt. Das Positionspapier des Ost-Ausschusses hebt einerseits Compliance-Richtlinien deutscher Unternehmen hervor, die durch eine Null-Toleranz-Politik in Sachen Korruption mit gutem Beispiel vorangehen sollen. "Doch", warnt Anja Quiring, Südosteuropaexpertin des Ost-Ausschusses, "man darf den Unternehmen nicht zu viel aufbürden, es ist Aufgabe der Politik, hier die richtigen Rahmenbedingungen zu setzen und effektive Kontrollinstrumente zu schaffen."
Andererseits sieht der Ost-Ausschuss vor allem die EU in der Pflicht. Diese solle durch Monitoring-Mechanismen Druck auf die Regierungen vor Ort ausüben. Wie die höchst unterschiedliche Entwicklung der vergangenen Jahre in Bulgarien und Rumänien gezeigt hat, waren derartige Mechanismen in der Vergangenheit jedoch keine Garantie für effektive Korruptionsbekämpfung. Martin Kothé resümiert daher: "Es wird noch Jahre dauern, bis der Sumpf der Korruption annährend trockengelegt ist."