Korruption in der Pflegebranche?
17. August 2013Der demografische Wandel in Deutschland hat massive Auswirkungen auf das Pflegesystem. Es wird in Zukunft immer mehr ältere Menschen geben und damit immer mehr Pflegebedürftige. Drei Millionen werden es nach Berechnungen des Statistischen Bundesamtes im Jahr 2030 sein. Schon jetzt ist ein Markt entstanden, auf dem es offenbar auch unseriöse Anbieter gibt.
Falsche Abrechnungen, zu wenig Fachpersonal
Laut einer Studie von Transparency International lädt das deutsche Pflegesystem zu Betrug und Korruption ein. Es werde gezielt knapp mit Personal kalkuliert, Geld für die Pflege zweckentfremdet und falsch abgerechnet.
Die Gefahr, dass die Betrügereien aufgedeckt werden, sei gering, sagt Barbara Stolterfoht, Sozialwissenschaftlerin und Co-Autorin der Studie. Die Pflegedienste und -heime werden zwar überprüft. Die Sozialämter, die einen Großteil des Geldes für die Pflege geben, hätten aber gar nicht die Kapazitäten, die Berichte zu analysieren und alle Abrechnungen zu kontrollieren, sagt die Sozialwissenschaftlerin.
Hinzu komme, dass Mitarbeiter eines Pflegeheimes, die Missstände bemerken, aus Angst vor einer Kündigung lieber schwiegen. Stolterfoht erinnert an den Fall einer Altenpflegerin, die öffentlich gemacht hatte, dass es in ihrem Pflegeheim zu wenig Personal gebe und die Kranken deswegen nicht gut versorgt würden. Ihr wurde gekündigt, sie klagte. Der Europäische Gerichtshof gab ihr schließlich recht. Solche Mitarbeiter müssten besser geschützt werden, fordert Stolterfoht.
Kritik am "Pflege-TÜV"
Abhilfe gegen Missstände in der Pflege soll eigentlich auch ein System schaffen, das sich Pflegekassen und Heimbetreiber ausgedacht haben. Es handelt sich um ein Benotungssystem von Pflegeheimen und -diensten, eine Art "Pflege-TÜV". Pflegebedürftige und Angehörige sollen so einfach herausfinden können, ob ein Pflegeheim gut oder schlecht ist.
An der ersten Version dieses "Pflege-TÜV" gab es jedoch massive Kritik: Schlechte Bewertungen etwa bei der medizinischen Versorgung könnten, so hieß es, durch gute Noten in für die Patienten unwichtigen Bereichen ausgeglichen werden. Ein neuer Entwurf soll in Kürze veröffentlicht werden. Er soll es Betroffenen und Angehörigen zumindest leichter machen zu erkennen, wie eine Einrichtung bei Fragen, die die Qualität der Pflege betreffen, abgeschnitten hat.
Wundgelegen, ans Bett gefesselt
Aus Sicht des Vorsitzenden der Deutschen Stiftung Patienten-Schutz, Eugen Brysch, ist das nicht genug. Er will einen größeren Fokus auf die Qualität der Pflege. Das System müsse die Suche nach dem besten Heim so einfach wie möglich machen. Die Pflegeanbieter verhinderten dies aber bislang mit Erfolg.
Als Patientenvertreter hat Brysch immer wieder mit Missständen, etwa in Pflegeheimen, zu tun: "In stationären Pflegeeinrichtungen in Deutschland gibt es laut den Medizinischen Diensten der Krankenversicherungen 140.000 Fälle von freiheitsentziehenden Maßnahmen. Das fängt beim Bettgitter an und hört bei der Fesselung auf." Auch von Druckgeschwüren und viel zu oft verabreichten Psychopharmaka werde ihm berichtet. Er sagt: "Wir haben in Deutschland in Pflegeeinrichtungen mehr Menschen, die unter freiheitsentziehenden Maßnahmen leiden als Gefängnisinsassen. Aber die Aufsicht über Gefängnisinsassen ist besser als die Aufsicht bei der Pflege."
Mehr Personal
Der Geschäftsführer des Bundesverbandes privater Anbieter sozialer Dienste, Herbert Mauel, ist gegen mehr Kontrollen und Regeln. "Wir haben mittlerweile fast 100 Kontrollorganisationen in Heimen und nicht wesentlich weniger in den ambulanten Diensten. Jedes Jahr findet eine Regelprüfung durch die Heimaufsichten statt, bei Verdacht kommen sie sofort und unangemeldet." Das Gleiche gelte für die Medizinischen Dienste. "Wir brauchen nicht mehr Kontrollen, sondern mehr Personal", sagt Mauel.