Kopf-an-Kopf-Rennen ins Wahljahr
22. Januar 2013An solch einen knappen Wahlausgang kann sich kein Wahlforscher in Deutschland erinnern. Bis spät in die Nacht stand nicht fest, ob CDU und FDP in Niedersachsen an der Macht bleiben oder von einer Koalition aus SPD und Grünen abgelöst werden. Das Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen schwarz-gelbem und rot-grünem Lager in dem norddeutschen Bundesland war der spannende Auftakt zum Bundestags-Wahljahr, in dem Kanzlerin Angela Merkel ihre dritte Amtszeit anstrebt.
Für Merkels sozialdemokratischen Rivalen Peer Steinbrück brachte die Wahl in der niedersächsischen Provinz Rückenwind für sein Ziel, die Kanzlerin abzulösen. Die Sozialdemokraten gewannen in bescheidenem Maße Stimmen hinzu. "Das bedeutet für dieses Jahr, dass Regierungswechsel und Machtwechsel möglich sind, auch mit Blick auf die Perspektive im September dieses Jahres" erklärte Steinbrück. Er räumte ein, dass er mit einer Reihe von Pannen und verbalen Fehltritten seiner Partei beim Wahlkampf in Niedersachsen nicht gerade geholfen habe. Zuletzt war über einen Austausch des Kanzlerkandidaten spekuliert worden. Die quälende Debatte darüber bleibt den Sozialdemokraten nun erspart.
Linke Mehrheit im Bundesrat
Das linke Oppositionslager hat mit der Regierungsübernahme in Niedersachsen jetzt sogar im Bundesrat eine Mehrheit. Dazu zählt neben den von Sozialdemokraten und Grünen geführten Ländern auch Brandenburg, wo die Linke mitregiert. Die SPD hatte bereits Gesetzesinitiativen in der Länderkammer zum bundesweiten Mindestlohn, zur härteren Verfolgung von Steuerhinterziehung, zur Einführung einer Vermögenssteuer angekündigt. Kanzlerkandidat Steinbrücks Hoffnungen für den Herbst ruhen allerdings maßgeblich auf dem potentiellen Bündnispartner, den Grünen, die weiter im bundesweiten Höhenflug sind und diesmal mit rund 14 Prozent ihr bisheriges Rekordergebnis in Niedersachsen erzielten.
Kanzlerin Merkel musste mit einer Wahlniederlage ihres persönlichen Lieblings David McAllister in Niedersachsen rechnen. Bereits Wochen vor der Wahl sagten viele Umfragen eine sichere Machtübernahme durch SPD und Grüne voraus, weil McAllisters Koalitionspartner FDP an der Fünf-Prozent-Hürde scheitern würde. Die CDU versuchte mit einer riskanten "Hilfsaktion", die schwarz-gelbe Koalition zu retten. Tausende CDU-Anhänger wählten mit ihrer Erststimme zwar die jeweiligen christdemokratischen Direktkandidaten, gaben ihre Zweitstimme, die "Partei-Stimme", aber den Liberalen. In Umfragen verrieten rund 80 Prozent der FDP-Wähler in Niedersachsen, ihre Lieblingspartei sei eigentlich die CDU. Während CDU-Generalsekretär Hermann Gröhe von einem legitimen Stimmensplitting sprach, spottete SPD-Chef Sigmar Gabriel, die FDP gebe es "nur noch durch Fremdblutzufuhr".
Spektakuläres FDP-Ergebnis durch Leihstimmen
Die FDP kam durch die Leihstimmen auf das spektakuläre Ergebnis von annähernd 10 Prozent. Allerdings rettete dies letztlich nicht die schwarz-gelbe Regierung, sondern nur den Kopf von FDP-Chef Philipp Rösler, dem ein schlechtes Ergebnis in seinem Heimatland Niedersachsen den Posten gekostet hätte. Rösler sprach von einem "großen Tag für die Liberalen" und kündigte an, bereits am Montag die personellen Weichen für das Wahljahr zu stellen. Möglich ist, dass nicht Rösler selbst, sondern das liberale Urgestein, der frühere Wirtschaftsminister Rainer Brüderle, Spitzenkandidat für die Bundestagswahl wird. Viele trauen ihm eher zu, die Partei in den Wahlkampf zu führen.
Die CDU büßte ihre "Partnerschaftshilfe" für die Liberalen zwar mit Verlusten bei den Zweitstimmen und verfehlte die 40-Prozent-Marke. Sie hatte offenbar gehofft, diese Einbußen mit Hilfe des deutschen Wahlsystems teilweise ausgleichen zu können. Dieses ermöglicht zusätzliche Mandate, wenn eine Partei sehr viele Direktkandidaten ins Parlament bringt. Doch der Versuch misslang. Es ist deshalb fraglich, ob die CDU-Wähler ein solches massives Stimmensplitting auch bei der Bundestagswahl riskieren, wenn es erneut darum gehen könnte, die Liberalen über die Fünf-Prozent-Hürde ins Parlament zu hieven.
Ungewisse Zukunft für Piraten
Die Linke, die bei der letzten Bundestagswahl 2009 sensationelle 12 Prozent der Stimmen errang, setzte in Niedersachsen ihren politischen Sinkflug fort. Nach Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein muss sie erneut Abgeordnetensessel in einem westdeutschen Parlament wieder räumen. Die Partei, die 2005 auf Initiative Oskar Lafontaines aus ost- und westdeutschen Linken entstand, läuft Gefahr, ihre über Jahre hart erkämpfte Etablierung im Westen Deutschlands einzubüßen. Sie ist nur noch in vier westdeutschen Ländern in den Landesparlamenten vertreten. Allerdings wird damit gerechnet, dass die Linke wegen ihres großen ostdeutschen Wählerpotentials im Herbst erneut den Sprung in den Bundestag schafft.
Die Piratenpartei, die als Lieblinge der Medien noch vor Jahresfrist Furore machte, erzielte ihr bisher schlechtestes Ergebnis bei einer Landtagswahl und verfehlte die Fünf-Prozent-Marke. Die Partei mit der jüngsten Mitgliedschaft machte zuletzt durch peinliche Selbstbeschäftigung Negativ-Schlagzeilen. Auch bundesweite Umfragen sehen sie nur noch bei 3 Prozent. Ihre Zukunft scheint ungewiss.