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Konto für Jedermann

Clara Walther12. Dezember 2013

670.000 Erwachsene in Deutschland haben laut EU-Hochrechnungen kein eigenes Konto. Für die Betroffenen ein Teufelskreis der Ausgrenzung. Das EU-Parlament will das ändern und hat ein entsprechendes Gesetz gebilligt.

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Verschiedene EC-Karten liegen übereinander.
Bild: picture-alliance/dpa

"Wer kein Girokonto hat, ist in der Wirtschaft ein Mensch zweiter Klasse", meint Pamela Wellmann von der Verbraucherzentrale NRW. Pamela Wellmann ist Expertin auf diesem Gebiet. Seit vier Jahren arbeitet die Juristin in dem Fachbereich "Kredit und Entschuldung". Sie beschäftigt sich mit Menschen, die Schwierigkeiten mit ihrer Bank haben, deren Konto gekündigt wurde oder die gar nicht erst ein Konto eröffnen dürfen.

Betroffen sind hiervon in der Regel Arbeitslose, Überschuldete oder Geringverdiener. Es sind Menschen, die sich als Kunden für die Banken nicht lohnen, mit denen sie keine Geschäfte machen können - und die durch die ungewollte Kontolosigkeit ins soziale Abseits geraten. "Einige Betroffene haben die Erfahrung gemacht, aufgrund ihrer Kontolosigkeit keinen Job zu finden", erzählt Wellmann. Nicht verwunderlich: Denn welcher Arbeitgeber wird nicht stutzig, wenn der Bewerber sich seinen Lohn bar auszahlen lassen möchte?

Wenn es um Geld geht, hört die Freundschaft in Deutschland auf. So heißt es zumindest. Und doch sind persönliche Beziehungen oft der einzige Weg "Kontolosen" eine gewisse Teilhabe am Wirtschaftsleben zu ermöglichen. Die Mietzahlungen laufen dann über die Bankverbindung des besten Freundes. Auch der Handyvertrag wird unter falschem Namen abgeschlossen. Rechtens ist das selbstverständlich nicht. Doch die Scham vieler Betroffenen ist groß - ebenso wie die gefühlte Ohnmacht gegenüber den Banken.

Ein Überweisungsträger wird ausgefüllt.
Erst Freunde ermöglichen Kontolosen eine ÜberweisungBild: picture-alliance/dpa

25 Millionen EU-Bürger ohne Konto

Dabei gibt es auch in Deutschland Regelungen, die jedem Menschen den Zugang zu einem Bankkonto ermöglichen sollen: In den 1990er Jahren verpflichtete sich der "Zentrale Kreditausschuss" (seit 2011 unter dem Namen "Die Deutsche Kreditwirtschaft") ein Konto für jedermann zu garantieren - ein Guthabenkonto, bei dem keine Überziehungen zugelassen sind. Doch gelöst ist das Problem damit nicht - denn die Selbstverpflichtung ist kein Rechtsanspruch. Und so stellte auch das Bundesfinanzamt in einem Bericht vom Dezember 2011 fest: "Es liegen Anhaltspunkte vor, dass Kontolosigkeit in Deutschland noch immer ein ernst zu nehmendes Problem ist. (...) Auf den bei der Kreditwirtschaft noch bestehenden Handlungsbedarf weist der Bericht ausdrücklich hin."

Deutschland ist mit dem Problem nicht allein. Auch in anderen europäischen Ländern werden Menschen aufgrund von Kontolosigkeit ausgegrenzt und diskriminiert. Die EU schätzt, dass 25 Millionen EU-Bürger über 15 Jahre kein Bankkonto haben - das ist jeder sechste EU-Bürger. Darunter sind viele Millionen Menschen, denen der Zugang ganz bewusst verweigert wird oder die nicht einmal wagen, sich bei einer Bank nach einer Kontoeröffnung zu erkundigen. Besonders dramatisch ist diese Situation in Bulgarien und Rumänien: Hier soll Schätzungen zufolge jeder zweite Erwachsene sein Leben ohne Zugang zu einem Konto meistern.

Grundrecht auf Bankkonto

Doch das soll sich nach dem Willen des EU-Parlaments und der EU-Kommission bald ändern. Die Abgeordneten in Straßburg stimmten einem Gesetzesentwurf zu, demnach der Zugang zu einem Girokonto ein "Grundrecht" sein soll. Ein sogenanntes Basiskonto soll grundlegende Zahlungsfunktionen umfassen, also Lastschriften, Überweisungen oder auch Online-Zahlungen. Der Inhaber kann sein Konto aber nicht überziehen. Die Pläne benötigen noch die Zustimmung der EU-Staaten und könnten frühestens 2016 in Kraft treten.

Die Argumentation hinter dem Vorhaben: Wenn die EU einen gemeinsamen Binnenmarkt vollenden will, müssen davon alle Bürger der 27 Mitgliedsstaaten gleichermaßen profitieren - und das ist nur möglich, wenn alle Menschen das Recht auf ein Bankkonto haben.

Der Ausbau des europäischen Binnenmarkts ist nach Ansicht von Menschenrechtsorganisationen nicht das einzige Argument, das für einen Zugang zu Bankkonten spricht. Uta Hausmann von der Menschenrechtsorganisation FIAN ist der Auffassung, dass ein Girokonto ein wichtiges Instrument ist, um Menschenrechte umzusetzen. "Wenn ich heute kein Girokonto habe, gerate ich in eine Abwärtsspirale, in der soziale Ausgrenzung immer mehr zunimmt", meint Hausmann. So sei das Menschenrecht auf Wohnen - sprich: die Anmietung einer menschenwürdigen Wohnung - in der heutigen Zeit oft nur mit Verweis auf ein Bankkonto möglich.

Ein Obdachloser in Bonn (Foto: Samih Amri)
Ohne Girokonto gerät man schnell in eine AbwärtsspiraleBild: DW/S.Amri