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Fabelrekord mit Fragezeichen

1. Juli 2019

Deutschlands Lauftalent Konstanze Klosterhalfen pulverisiert beim Diamond-League-Meeting in Stanford ihren eigenen deutschen Rekord über 3000 Meter. Die Leistungsexplosion der 22-Jährigen wirft allerdings Fragen auf.

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Diamond-League-Meeting in Stanford
Bild: picture-alliance/dpa/G. Glendinning

Konstanze Klosterhalfen hielt sich an die Anweisungen ihres Trainers und schaute nicht auf die Uhr. "Ich sollte am Ende nur so viele wie möglich überholen", sagte die 22 Jahre alte deutsche Leichtathletin, nachdem sie beim Diamond-League-Meeting in Stanford im US-Bundesstaat Kalifornieren ihren eigenen deutschen Rekord über 3000 Meter, den sie 2017 in Birmingham aufgestellt hatte, um fast zehn Sekunden auf 8:20,07 Minuten verbessert hatte.

Klosterhalfen wurde Zweite hinter der in Äthiopien geborenen Niederländerin Aifan Hassan. Die Siegerin lief die viertschnellste Zeit über 3000 Meter, die jemals erreicht wurde, Klosterhalfen die sechstschnellste. "Die genaue Zeit habe ich erst eine halbe Stunde nach dem Rennen von meinem Trainer erfahren." Der heißt Pete Julian, ist US-Amerikaner, war einst selbst Langstreckenläufer und arbeitet seit elf Jahren für das "Nike Oregon Project".

USADA ermittelt seit vier Jahren

Seit dem vergangenen Herbst trainiert Klosterhalfen in Portland im US-Bundesstaat Oregon, seit dem Frühjahr ist sie auch offiziell Mitglied des Projekts, als einzige Deutsche unter elf Athletinnen und Athleten. Eingefädelt hat den Wechsel in die USA Klosterhalfens Förderer Oliver Mintzlaff, Vorstandschef des Fußball-Bundesligisten RB Leipzig. 

Alberto Salazar Kara Goucher
Projektleiter Alberto Salazar mit Kara Goucher (2006)Bild: picture-alliance/dpa/AP Photo/D. C. Pizac

Das "Nike Oregon Project" unter Leitung des früheren Marathon-Läufers Alberto Salazar, das 2001 gegründet wurde, um die Vorherrschaft Afrikas auf den Langstrecken zu beenden, ist umstritten. Seit 2015 ermittelt die Anti-Doping-Agentur der USA (USADA), ob in Portland gegen Anti-Doping-Regeln verstoßen wird. Kara Goucher, eine frühere Athletin des Projekts, warf Salazar vor, ihr nach der Geburt ihres Kindes ein Schilddrüsenmedikament gegeben zu haben, damit sie abnehme. Laut eines Zwischenberichts der USADA von 2017 soll Athleten des Projekts auch in kurzen Abständen per Infusion L-Carnitin verabreicht worden sein, ein Mittel, mit dem der Energiestoffwechsel gesteigert werden kann.

Salazar, so hieß es in dem Bericht, habe "fast mit Sicherheit" das Anti-Doping-Protokoll verletzt. Der Leiter des Projekts bestritt dies, zu einer Anklage durch die USADA kam es noch nicht. Bisher erfolgreichster Schützling war der britische Superstar Mo Farah, den Salazar zu vier Olympiasiegen führte, ehe Farah im Herbst 2017 das Projekt verließ - "nicht wegen der Dopingvorwürfe", wie Farah damals unterstrich.

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Nach vier Olympiasiegen verließ der britische Superstar Mo Farah das "Nike Oregon Project"Bild: Reuters/K. Pfaffenbach

"Ich denke, dass in diesem Zentrum alles, was irgendwie, irgendwann einmal in positivem Zusammenhang mit Leistungssteigerung gebracht worden ist, hoch professionell angewendet wird", sagt Professor Fritz Sörgel, Leiter des Instituts für Biomedizin und Pharmazeutische Forschung in Nürnberg, der DW. "Darunter verstehe ist, dass zum Beispiel Infusionen korrekt nach den WADA-Vorschriften abgewickelt werden: nicht mehr als 100 Milliliter pro zwölf Stunden. Man geht hier halt an die Grenzen."

"Grenzdoping"

Einige der Läufer des "Nike Oregon Project", leben in Wohnungen, in denen mit Filtern der Sauerstoffanteil an der Atemluft reduziert wird. Mit diesem Verfahren werden Hypoxiebedingungen wie in großer Höhe simuliert, die dazu führen, dass der Körper mehr rote Blutkörperchen produziert. "Im Profisport ist Optimierung üblich", sagt Doping-Experte Sörgel. "Wer seine Trainingsmethoden und offensichtlich auch seine Versorgung mit Substanzen verschiedenster Art optimiert, hat einen Vorteil. Es ist die Frage, wie man dazu steht, das ist eher eine moralische Frage." Sörgel nennt dies "Grenzdoping", und verweist auf einen Fall in Zypern, wo drei Profi-Fußballer im November 2018 zur Polizei gingen, weil sie von ihrem Verein Infusionen und intravenöse Spritzen bekamen und danach unter massiven Herzproblemen litten.

Deutschland Nürnberg Doping-Experte Fritz Sörgel
Fritz Sörgel: "Das Unmögliche möglich gemacht"Bild: picture-alliance/dpa/D. Karmann

Bundestrainer Sebastian Weiß, früher Heimcoach Klosterhalfens beim TSV Bayer 04 Leverkusen, hat nach eigenen Worten den Leistungssprung seines ehemaligen Schützlings kommen sehen. "Ich freue mich sehr, dass Koko solch eine grandiose Zeit gelaufen ist und dass sie sich weiterhin toll entwickelt", sagte Weiß nach der Bestzeit von Stanford. "Sie ist schon früher deutsche Rekorde gelaufen, wir wissen um ihr Talent. Daher kommt dies für mich nicht so überraschend."

Wenn - wie jetzt durch Klosterhalfen - ein Rekord nicht nur gebrochen, sondern geradezu pulverisiert werde, "muss ich annehmen, dass Unmögliches möglich gemacht wurde", sagt dagegen Dopingexperte Sörgel. Er meine damit nicht unbedingt, dass die deutsche Läuferin zu unerlaubten Mitteln gegriffen habe. "Man muss die Unschuld vermuten", so Sörgel. "Aber wenn man die Dinge zusammenzählt, muss man fragen: Wie kommen solche Leistungssteigerungen zustande? Durch Ausnutzen aller Möglichkeiten, bis an die Grenzen gehen? Das ist eine Entwicklung im Sport, die man nicht mit den WADA-Regeln verbieten kann, die aber Fragen nach der Sicherheit der Sportler mit sich bringt."

DW Kommentarbild Stefan Nestler
Stefan Nestler Redakteur und Reporter