Kongos Vergewaltiger packen aus
24. Februar 2013Im Innenhof der Berufsschule in der ostkongolesischen Stadt Goma werden Gerüste gezimmert, Zement angerührt, Mauern gebaut, Autos repariert. In einem Klassenraum sitzt Bonerge Kiunga. Der 19-Jährige will Mechaniker werden und hört aufmerksam zu, wie der Lehrer die Funktion von Kolben erklärt.
Die Berufsschule wurde 2002 nach dem Ausbruch des Vulkans Nyiragongo und der Zerstörung Gomas durch die Lava gegründet. Sie hat sich auf die Behandlung von schwer traumatisierten Menschen spezialisiert. Heute sind hier rund einhundert Männer untergebracht, denen es gelungen ist, aus Rebellengruppen zu entkommen. Sprich: ehemalige Kindersoldaten, die bereits in ihrer Jugend brutale Gewalt erfahren - und auch selbst ausgeübt haben.
Frühere Opfer werden zu Tätern
Bonerge Kiunga hatte vier Jahre lang in einer Miliz gedient. Vergangenes Jahr konnte er fliehen. Doch bis heute kann er die schrecklichen Erinnerungen nicht vergessen, erzählt er. "Wir sind durch das Blut unserer Opfer gelaufen, wir haben neben den Leichen gegessen, es war wirklich grauenvoll", erzählt er.
Gewalterfahrungen wie diese führen oft dazu, dass Jungen wie Bonerge später zu Tätern werden, die selbst extreme Gewalt anwenden. Das hat eine neue Studie deutscher Psychologen ergeben. Seit zwei Jahren befragen Psychologen der Universität Konstanz im Ostkongo systematisch ehemalige Kämpfer - auch nach ihren Motiven, warum sie Frauen vergewaltigen. Ein neuer Ansatz, die Massenvergewaltigungen zu verstehen, die Rebellengruppen systematisch begehen, und diese vielleicht auf lange Sicht verhindern zu können.
Bonerge Kiunga glaubt, dass die Drogen, die er und seine Kameraden genommen haben, ihn zum Täter werden ließen: "Wenn man die nimmt, dann fühlt man sich für einige Tage als Herr über die ganze Welt", berichtet er. Die Kommandeure seiner Miliz hätten den jungen Kämpfern vor den Gefechten die traditionellen Drogen eingeflößt, um ihre Hemmschwelle zu senken. "Man ist dann unverwundbar, keine Kugel und keine Bombe kann einem was anhaben", erzählt Kiunga. Gleichzeitig wirken diese Drogen auch sexuell stimulierend. "Man braucht dann Sex", sagt Kiunga. Doch die Kommandeure hätten den Kämpfern auch eingebläut, dass sie vor den Gefechten keine Frau anfassen dürften, sonst verfliege die Wirkung: "Wenn man es dennoch tut, dann ist man nicht unverwundbar und kann sterben", sagt Kiunga. Sobald aber die Schlacht gewonnen sei und der Feind vertrieben, gehen die Kämpfer ihrem sexuellen Drang nach.
Keine sexuelle Befriedigung
Ein Ergebnis der Interviews: Gewalt kann in einen regelrechten Blutrausch führen, vor allem, wenn die Täter vorher Drogen genommen hatten. Das haben die Psychologen in ihren Gesprächstherapien festgestellt. Tobias Hecker, wissenschaftlicher Mitarbeiter der Psychiatrie in Konstanz, hat mehr als 100 Täter befragt. Viele berichteten, dass sie deswegen extreme Gewalt gegen Frauen anwenden. Doch es gebe auch Motive, die mit sexueller Befriedigung eigentlich nichts zu tun hätten, so Hecker.
Vor allem nach Gruppenvergewaltigungen komme es häufig anschließend zu Gemetzeln, auch mit Macheten oder Stöcken. Das habe jedoch nur wenig mit Lustempfinden zu tun, sagt Hecker, sondern eher mit Gruppendruck: "Wenn eine Gruppe Männer eine Frau vergewaltigt, müssen sie sich gegenseitig überbieten. Auf der anderen Seite ist es aber auch peinlich, wenn man dann keine Erektion bekommt. Und um sich nicht bloß zu stellen, macht man dann was anderes, um es zu kaschieren", erklärt Psychologe Hecker. Diese Gruppenvergewaltigungen seien von allen befragten Tätern als unangenehm bis ekelhaft beschrieben worden. Deswegen Heckers Fazit: "Die Angst das Gesicht zu verlieren, ist die Hauptmotivation, so brutal vorzugehen."
Befehl zur Vergewaltigung
Es gibt noch eine dritte Motivation: die angeordnete, systematische Massenvergewaltigung. Wenn Kommandeure der Milizen ihren Kämpfern befehlen, die Frauen, Kinder und Mütter der Feinde zu vergewaltigen - aus Rache und als Kriegsstrategie. Dies geschah 2010 in der Region Walikale in der Provinz Nord-Kivu: Mehr als 300 Frauen wurden sexuell misshandelt. Das jüngste Opfer war zwei Jahre alt, das älteste 80. Doch Kämpfer, die den Befehl zur Massenvergewaltigung erhalten, können diesen nicht verweigern. Sonst werden sie selbst umgebracht.
Der Psychologe Hecker bezeichnet deshalb alle Männer, mit denen er und seine Kollegen gesprochen haben, sowohl als Täter als auch als Opfer. "Das ist eine ganz wichtige Erkenntnis, die wir gemacht haben."
Deshalb, so die Folgerung der Studie, müssten diese Täter, die ihren Rebellengruppen entkommen sind und wieder in die Gesellschaft integriert werden müssen, psychologische Betreuung erhalten. Einerseits um ihre Sucht nach Gewalt zu therapieren, andererseits um ihnen zu helfen, ihre Traumata zu überwinden. Ohne Therapie, so die Befürchtung, tragen sie die Gewaltbereitschaft in die Gesellschaft hinein. Sie müssten lernen, ein gewaltfreies Verhältnis zu Frauen aufzubauen - um später heiraten und selbst Kinder zu bekommen, die gewaltfrei aufwachsen können. Sonst ziehe sich die Gewaltspirale im Kongo womöglich immer weiter zu.