Kommt doch noch Bewegung in den Brexit-Streit?
19. Oktober 2020Großbritannien und die EU haben ihre Verhandlungen über ein Handelsabkommen für die Zeit nach der Brexit-Übergangsphase trotz zuletzt gegenseitiger Vorwürfe fortgesetzt. Nach den Gesprächen betonten beide Seiten, jetzt mehr Tempo machen zu wollen. Damit gibt es wieder ein klein wenig mehr Hoffnung, bis zum Jahresende noch ein Handelsabkommen zu vereinbaren.
Großbritanniens Kabinettsminister Michael Gove sagte im Unterhaus, die Europäische Union habe zugestimmt, die Gespräche zu intensivieren und auch an Rechtstexten zu arbeiten. Dies sei konstruktiv. Zugleich forderte Gove die EU aber dazu auf, ihre Haltung beim geplanten Brexit-Handelspakt "fundamental" zu ändern. So wie die Dinge derzeit stünden, sei nicht mehr mit einem Abkommen vor Ende der Brexit-Übergangsphase zu rechnen, sagte Gove im Parlament in London.
EU-Verhandlungsführer Michel Barnier twitterte, weiterhin für Gespräche diese Woche in London zur Verfügung zu stehen. Es könne über alle Themen geredet werden. Eigentlich sollte Barnier schon an diesem Montag in London sein. Das Gespräch mit seinem britischen Pendant David Frost fand wegen der zuletzt stockenden Verhandlungen aber nur telefonisch statt.
Stattdessen reiste der Vizepräsident der EU-Kommission, Maros Sefcovic, nach London. Nach einem Treffen mit Gove sprach er von einem "intensiven und konstruktiven" Gespräch. Es gebe noch viel Arbeit zu erledigen. Es könne nun aber vorangehen, sagte Sefcovic. Er bekräftigte, die EU wolle weiterhin eine Einigung, "aber nicht um jeden Preis". Es müsse ausgewogen sein. "Die Europäische Union ist bereit, bis zur letzten Minute an einer guten Einigung für beide Seiten zu arbeiten."
Beide Seiten suchen seit Monaten nach Möglichkeiten, ein Handelsabkommen zu erreichen und die künftigen Beziehungen Großbritanniens zur EU zu klären. Kommt es zu keinem Kompromiss, würde zum Jahreswechsel, elf Monate nach dem EU-Austritt des Vereinigten Königreichs, doch noch ein "harter Brexit" mit gravierenden Folgen für die Wirtschaft Realität. Denn die Briten verlassen nach der Übergangsphase auch den EU-Binnenmarkt und die gemeinsame Zollunion. Als besonders strittige Themen gelten Regeln für einen fairen Wettbewerb, Streitschlichtungsverfahren und Fischerei-Fangquoten in britischen Gewässern.
Die Uhr tickt
Die britische Regierung forderte die Unternehmer des Landes vorsorglich schon einmal auf, Vorbereitungen für eine Zeit ohne Folge-Handelsabkommen mit der EU zu treffen. Sie kündigte am Sonntagabend ein Schreiben an rund 200.000 Firmen an, die Handel mit der EU treiben. Darin würden neue Zoll- und Steuervorschriften dargelegt werden. "Täuschen sie sich nicht, in nur 75 Tagen gibt es Änderungen und die Uhr für die Unternehmen tickt", sagte Kabinettsminister Gove. Jetzt müssten alle zusammenarbeiten, damit Großbritannien die neuen Chancen nutzen könne, die sich "aus einer unabhängigen Handelsnation mit Kontrolle über ihre eigenen Grenzen, Hoheitsgewässer und Gesetze" ergeben würden.
qu/kle (rtr, dpa, afp)