Ein Urteil mit Folgen
25. November 2014Im Zweifel für den Angeklagten. Das Geschworenengericht entschied sich am Ende gegen einen Prozess. Offenbar gab es zu viele einander widersprechende Aussagen von Zeugen. Es gab keinen Beweis, dass Polizist Darren Wilson fahrlässig gehandelt oder ein Gesetz gebrochen hat. In einer Stellungnahme verteidigt Wilson die Tötung des 18-jährigen Jungen. Er habe in Übereinstimmung mit dem, was man ihm beigebracht habe, gehandelt. Seine Worte wirken kalt, rechthaberisch. Der Täter gebärdet sich als Opfer. Hätte er doch besser geschwiegen.
Polizisten zweiter Klasse
So reibt er Salz in die Wunde, macht es Afroamerikanern - nicht nur in Ferguson - schwerer, die Entscheidung der Geschworenen zu akzeptieren. Darren Wilson ist sicher kein Sympathieträger. Er personalisiert, was es weltweit ohnehin an Vorurteilen über amerikanische Ordnungshüter gibt: Sie schießen erst, dann fragen sie. Das Schlimme an manchen Vorurteilen ist, dass sie gelegentlich wahr sind.
Statistiken sprechen eine eindeutige Sprache: Übermäßige Polizeigewalt gegen Afroamerikaner bleibt ein Problem in den USA, auch wenn es US-Bürger gerne verdrängen. Die Ausbildung von Polizisten ist in Teilen mangelhaft. Sie entspricht schon gar nicht dem Standard, der etwa in Deutschland gilt. Undenkbar, das jemand, der nicht gut genug für den Polizeijob in Frankfurt ist, diesen in Ludwigshafen ausüben darf. Genau das passiert aber im Bundesstaat Missouri: Gute Polizisten dürfen z.B. in St. Louis Streife fahren. Weniger gute – wir wollen es freundlich formulieren – dürfen sich in sozialen Brennpunkten wie Ferguson "bewähren". Dort werden die "Ordnungshüter zweiter Klasse" auch schlechter bezahlt. Das motiviert nicht gerade.
Neue Rassenunruhen?
Der Tod von Michael Brown ist mehr als nur eine Tragödie. Mehr als ein Einzelfall, bei dem ein offenbar überforderter Polizist vorschnell zur Waffe griff. Vergleichbare Fälle passieren fast jeden Tag irgendwo in den USA. Nur wenige machen Schlagzeilen. Der Fall Michael Brown hat das Potential, landesweite Rassenunruhen auszulösen. Vieles hängt davon ab, wie die Politik damit umgeht. Wobei es hier vor allem auf Präsident Obama und andere in Washington ankommt.
Denn die Provinz-Politiker in Missouri haben hinlänglich bewiesen, dass sie hoffnungslos überfordert sind. Zum Beispiel der Gouverneur Jay Nixon. Bei einem Interview kann er nicht die Frage beantworten, wer letztlich verantwortlich ist für die Sicherheit in Ferguson. Er stottert so sehr herum, dass er anschließend zum Gespött der ganzen Nation wird. Auch der zuständige Staatsanwalt Robert P. McCulloch glänzt nicht bei diesem Fall. Gleich nach dem Tod von Michael Brown werfen dem Staatsanwalt viele vor, voreingenommen zu sein. Der Grund: McCullochs Vater war Polizist, der von einem Afroamerikaner erschossen wurde. McCulloch beschließt deshalb alle Beweise den Geschworenen vorzulegen, nach dem Motto: Sollen die doch entscheiden! Besser wäre es gewesen, er hätte den Fall einem Sonder-Staatsanwalt überlassen. Der hätte dann mit den Geschworenen die Beweislage geprüft. Doch McCulloch lehnte dies ab. Vielleicht aus Eitelkeit, vielleicht aus einem falsch verstandenem Pflichtgefühl heraus. Am Ende hat er damit seiner Heimat keinen Dienst erwiesen. Die Reihe überforderter Lokalpolitiker in Missouri ließe sich fortsetzen – der Bürgermeister von Ferguson ist nur einer von vielen. Freilich lässt sich gegen Inkompetenz in der Politik wenig tun. Die Bürger müssen andere Repräsentanten wählen.
Die Enttäuschung über die Politik und über die Justiz in den USA kann aber keine Entschuldigung sein für gewaltsame Ausschreitungen, wie wir sie derzeit leider erleben. Wer Geschäfte plündert oder Autos anzündet, gehört ins Gefängnis. Die Einwohner von Ferguson sollten sich fragen, was sie tun können, um die angespannte Lage zu entschärfen. Die Eltern von Michael Brown gehen mit gutem Beispiel voran: Sie rufen zu Ruhe und friedlichen Aktionen auf. Ähnlich handeln Vertreter der örtlichen Kirchen, Gewerkschaften und NGOs. Sie alle haben in diesen für die USA schweren Tagen eine besondere Verantwortung.