Die vier Tage des Sondergipfels der EU verliefen zäh. Am Ende steht aber eine belastbare Vereinbarung. Und darauf kommt es an. Verglichen mit anderen Suchen nach Kompromissen in der EU waren die Haushaltsverhandlungen diesmal sogar blitzartig schnell. Nur drei Monate haben sie - von der Corona-Krise getrieben - gedauert, von der Vorlage des Aufbaufonds bis zum Beschluss heute früh.
Man soll das Wort nicht zu oft gebrauchen, aber diese Einigung ist wirklich historisch. Zum ersten Mal nimmt die EU gemeinsam Schulden auf, um die Wirtschaftkrise in den Mitgliedstaaten gemeinsam abzufedern. Was vor Monaten noch undenkbar war, nämlich gemeinsame Bonds und eine Schuldenunion, sind jetzt möglich. Die Kehrtwende Deutschlands aus dem Lager der Frugalen hin zu dem vom französischen Präsidenten propagierten Konzept der vergemeinschafteten Haushaltspolitik und Finanz-Souveränität hat den historisch richtigen Schritt möglich gemacht. Diese Kehrtwende ist wahrscheinlich die größte europapolitische Leistung von Bundeskanzlerin Angela Merkel.
Die Folgen der Pandemie zwingen die 27 Mitgliedsstaaten in eine Zusammenarbeit, die sie bis vor Kurzem für undenkbar hielten. Die gemeinsame Schuldenaufnahme ist dabei ein willkommenes Mittel, denn sie belastet die nationalen Haushalte heute kaum, sondern ist eine Anleihe bei der nächsten Generation. Das muss man wissen und den jungen Leuten auch sagen. Sie werden irgendwann für diese Schulden gerade stehen müssen. Auf der anderen Seite wird mit dem Aufbaufonds vielleicht jetzt ihre Ausbildung oder ihr Arbeitsplatz gesichert.
Zeitenwende in der EU
Der schnelle Erfolg des Sondergipfels zeigt der Welt, dass die EU trotz aller Gräben und Meinungsunterschiede handeln kann, wenn es darauf ankommt. Die EU ist eine Art Schutzschirm, den es so sonst nirgendwo auf der Welt gibt. Weder in Amerika, Asien oder Afrika erhalten Staaten von solidarischen supranationalen Gemeinschaften Konjunkturspritzen.
Auch wenn die "Sparsamen Fünf" weniger geben wollten und die Empfänger mehr haben wollten, haben am Ende doch die Solidarität und der Gemeinsinn gesiegt. Das 1,8 Billionen-Paket ist eine enorme Umverteilung von den Stärkeren an die Schwächeren. Der Sondergipfel von Brüssel, nicht zuletzt ein Erfolg der deutschen Ratspräsidentschaft, wird als Zeitenwende in die Geschichte der EU eingehen.
Einziger Schönheitsfehler: Es ist nicht gelungen, Polen und Ungarn, die gegen rechtsstaatliche Grundsätze verstoßen, mit finanziellen Hebeln an die Kandare zu nehmen. Die getroffene Regelung zur Überprüfung der Rechtsstaatlichkeit ist wachsweich. Das musste man in Kauf nehmen, um die Einstimmigkeit für den gesamten Kompromiss nicht zu gefährden. Die Probleme mit Polen und Ungarn, die die Solidarität der anderen dreist ohne Gegenleistung ausnutzen, sind ungelöst. Der Sonder-Gipfel von Brüssel hat nicht alle Gräben zuschütten können.
Der Corona-Aufbaufonds ist aber nur ein Teil der notwendigen Stützungsmaßnahmen in der Corona-Krise. Die Zahlen hören sich gewaltig an, noch mehr Geld jedoch fließt aus den nationalen Programmen und vor allen aus den Anleihekäufen der Europäischen Zentralbank. Um richtigen "Wumms" zu verbreiten, wie der deutsche Finanzminister den gewünschten Effekt nennt, müsste der Fonds am besten schon übermorgen Geld ausschütten. Die geplante Auszahlung von 2021-23 könnte zu spät und zu langsam sein.