Getriebener Präsident
10. September 2013Entscheidungen über Krieg und Frieden, über Leben und Tod zu treffen, sind Hauptbestandteil der Stellenbeschreibung für das Amt des US-Präsidenten. Diese Aufgabe machte sich Barack Obama im ersten Jahr seiner Präsidentschaft ausdrücklich zu eigen: "Wenn ein Problem eine klare Lösung hat, landet es nicht auf meinem Tisch. Das Einzige, was ich entscheide, sind die schwierigen Dinge", sagte er damals in einem Interview.
Genau dies jedoch tut Obama im Fall Syrien nicht. Es braucht Monate der Gewalt, bis Obama erstmals Stellung bezieht und Assad zum Rücktritt auffordert. Ein militärisches Eingreifen und eine Bewaffnung der Opposition schließt er aus. Konsequenzen: keine.
Getrieben statt führend
Nachdem erst ein Pentagon-Sprecher, gefolgt von der damaligen Außenministerin Hillary Clinton im Sommer 2012, vom Chemiewaffeneinsatz als einer "roten Linie" spricht, zieht Obama neun Tage später nach. Das Pentagon, unterstützt von Clinton, legt Obama daraufhin Pläne für Waffenlieferungen an die Rebellen vor. Er lehnt ab. Konsequenzen: keine.
Als erste Berichte über Chemiewaffeneinsätze des Assad-Regimes auftauchen, bezeichnet Obama dies als "game changer", also als Wendepunkt. Nachdem US-Geheimdienste den Einsatz bestätigen, sagt Obama, man müsse erst herausfinden, wer dafür verantwortlich sei. Konsequenzen: keine.
Als der neue Pentagon-Chef Chuck Hagel schließlich erklärt, die USA prüften nun doch Waffenlieferungen, schließt sich Obama kurz danach an. Gleichzeitig warnt er jedoch, man müsse zuerst "schauen, bevor wir springen". Konsequenzen: keine.
Ohne Kompass
Im Sommer 2013 schließlich - nach UN-Angaben sind bislang mehr als 90.000 Menschen umgekommen - genehmigt Obama Waffenlieferungen. Doch selbst als Washington Berichte über einen großflächigen Chemiewaffeneinsatz durch das Assad-Regime bestätigt, laviert Obama weiter. Erst erklärt er, er habe sich zu einem Militärschlag entschlossen. Als jedoch das britische Parlament eine Beteiligung ablehnt, schwenkt Obama innerhalb von Stunden um und will nun ebenfalls die Zustimmung seines Parlaments.
Als absehbar ist, dass der Kongress die Zustimmung verweigern könnte, folgt die bislang letzte rhetorische Pirouette: Außenminister John Kerry sagt, falls Syrien seine Chemiewaffen unter internationale Kontrolle stelle, könne man von einem Militärschlag absehen. Als Russland und das Assad-Regime den Ball dankbar aufnehmen, setzt die Obama-Regierung den geplanten Militärschlag bis auf Weiteres aus und spielt erneut auf Zeit.
Um es klar zu sagen: Es gibt nachvollziehbare Gründe für und gegen einen Militärschlag gegen das Assad-Regime. Einen Königsweg gibt es nicht. Bei beiden Alternativen überwiegen die Risiken gegenüber den möglichen Nutzen. Ein klassisches Dilemma.
Strategielos in Washington
Doch genau für solche Situationen, in denen es nur schlechte Lösungen gibt, werden US-Präsidenten gewählt. Und wer sich dann noch wie Obama selbst mit dieser Entscheidungsmacht brüstet, von dem wird erwartet, dass er diesen Anspruch in Krisenzeiten auch einlöst. Obama hat dies nicht getan. Seit Beginn des Krieges vor zweieinhalb Jahren hat Obama gezögert, gezaudert und auf Zeit gespielt. Er hat nicht geführt, sondern stets nur auf Druck aus seinem eigenen Kabinett, der Opposition, dem britischen Parlament und den Ereignissen in Syrien reagiert. Eine Syrien-Strategie ist bis heute nicht einmal ansatzweise erkennbar.
Deshalb passt es auch ins Bild, dass Präsident Obama erstmals Dienstagnacht - nach zweieinhalb Jahren Krieg mit mehr als 100.000 Toten - selbst zum amerikanischen Volk über das Thema Syrien sprechen will.