Kommentar: Wunder, das nach hinten losging
17. Oktober 2012Es gibt Fußballspiele, die kann es eigentlich nicht geben, und doch kommen sie vor. Im Erfolgsfall ist dann stets vom "Fußballwunder" die Rede. Doch diesmal ging das Wunder nach hinten los. Eine Stunde lang führte die deutsche Nationalmannschaft im WM-Qualifikationsspiel in Berlin den Gegner Schweden vor. Özil, Reus, Müller und Co. wirbelten die Abwehr der Skandinavier mit Hochgeschwindigkeitskombinationen schwindelig. Zauberfußball. Der verdiente Lohn: 4:0 nach einer Stunde. Und der Betrachter durfte bei laufender Partie zum Kühlschrank gehen zwecks Getränkenachschub oder auf die Toilette zwecks Getränkeentsorgung – in der Gewissheit, dass in diesem Spiel für die deutsche Elf nichts mehr anbrennen würde.
Kollektives Versagen
An dieser Sichtweise dürfte auch der erste Gegentreffer kaum etwas geändert haben. Und selbst beim zweiten Tor der Schweden, das wenig später fiel, war nicht vorherzusehen, wie die deutsche Mannschaft nun einbrechen würde. Der Zauber war verflogen, und auch die Einstellung. Alles, was die elf Spieler vorher richtig gemacht hatten, misslang ihnen nun: Sie standen zu weit weg von ihren Gegenspielern, gingen nicht entschlossen in die Zweikämpfe, spielten zurück statt in die Spitze. Die Abwehr flog regelrecht auseinander, selbst Torwart Manuel Neuer wirkte nun unsicher. Doch es war kein individuelles, sondern ein kollektives Versagen. Was dazu führte, können wahrscheinlich am ehesten Psychologen erklären. Vielleicht waren die Spieler gedanklich auch schon wie der Betrachter auf dem Weg zu Kühlschrank oder Toilette.
Leichtfertig verschenkt
Sie verschenkten den eigentlich schon sicheren Sieg leichtfertig. Das darf einer Spitzenmannschaft – und als solche hatte sich der Weltranglisten-Zweite eine Stunde lang präsentiert – einfach nicht passieren. Diese denkwürdige Partie taugt als Lehrstück dafür, was geschehen kann, wenn man sich zu sicher fühlt, die Konzentration verliert und das Spielen einstellt. Laufen die deutschen Stars künftig nach einer glanzvollen Vorstellung Gefahr abzuheben, kann Bundestrainer Joachim Löw sie auf einfache Weise wieder auf den Boden zurückholen: indem er die Aufzeichnung des WM-Qualifikationsspiels gegen Schweden vorführt.