Kommentar: 4- für Europa
30. Mai 2013Zeugnistag für Europa! Die EU-Kommission hat die wirtschaftliche und finanzpolitische Entwicklung in den 27 Mitgliedsstaaten und Beitrittsland Kroatien untersucht und ihre Empfehlungen an die Regierungen abgegeben. Diese Aufgabe erfüllt die Kommission einmal im Jahr. Nach den verschiedenen Reformen zur besseren Haushaltskontrolle und Verzahnung der Wirtschaftspolitik als Lehre aus der Schuldenkrise hat das Zeugnis der EU-Kommission ein großes Gewicht. In diesem Jahr sind die Ergebnisse teils ernüchternd, teils hoffnungsvoll.
Enttäuschend ist, dass vor allem Frankreich als zweitgrößte Volkswirtschaft nach Deutschland nicht auf einen grünen Zweig kommt. Die staatliche Neuverschuldung ist zu hoch, die französische Wirtschaft ist nicht wettbewerbsfähig. Die Kommission verlangt Reformen, die die französische Regierung zu zögerlich anpackt. Als Zugeständnis räumt die EU-Kommission Frankreich mehr Zeit ein, um seine Defizitziele zu erreichen. Im Gegenzug ist eine Rentenreform in Frankreich überfällig.
Zusätzliche Zeit für Reformen nutzen
Auch Spanien, Slowenien, Portugal, Griechenland und die Niederlande erhalten mehr Zeit - nur so entgehen die Regierungen dieser Länder einem schärferen Defizit-Verfahren. Nach der reinen Lehre dürfte an den Defizitzielen eigentlich nicht gerüttelt werden, aber die reale Lage in den Ländern zwingt die EU-Kommission zur Nachgiebigkeit. Sie hat keine andere Wahl. Die Instrumente sind zwar geschärft worden, aber ihre Anwendung würde die Krise noch weiter verschlimmern.
Das Grundproblem, nämlich die viel zu hohe Verschuldung von öffentlichen Haushalten und privaten Haushalten, ist lange noch nicht gelöst. Die Verschuldungsquote in den 17 Staaten, die den Euro als Währung haben, erreicht bald 100 Prozent der jährlichen Wirtschaftsleistung. 60 Prozent wären erlaubt. Und die Verschuldung steigt weiter an. Nur wenige Staaten machen keine neuen Schulden mehr, dazu gehört Deutschland, dessen Wirtschaft sich glücklicherweise als krisenresistent erweist. In den meisten Mitgliedsstaaten sei die Botschaft aber immer noch nicht angekommen, beklagt der Präsident der EU-Kommission, José Manuel Barroso, zu Recht. Reformen laufen zu langsam an und werden nur schleppend umgesetzt.
Zentralbank ist nicht allmächtig
Noch sind 20 Staaten der EU im Defizitverfahren, machen also jährlich zu viele Schulden. Aber Italien, Ungarn, Rumänien, Lettland und Litauen können wohl aus dem Verfahren entlassen werden. Italiens Neuverschuldung ist unter die magische Grenze von drei Prozent der Wirtschaftsleistung gefallen, dennoch hat die Krise Italien fest im Griff. Die Arbeitslosigkeit erreicht - wie überall im Süden der EU - Rekordwerte. Die gesamte Staatsverschuldung Italiens liegt bei 130 Prozent, ein auf die Dauer nicht finanzierbares Niveau. Im Moment haben die Krisenländer etwas finanzielle Luft, weil sie an den Finanzmärkten für neue Staatsschulden erträgliche Zinsen zahlen müssen. Diese Luft zum Atmen hat ihnen aber die Europäische Zentralbank mit ihrer Garantie verschafft, dass sie im Zweifelsfall Geld drucken würde, um die Staaten zu retten. Diese Garantie wird nicht ewig wirken, echte Reformen und echte wirtschaftliche Entwicklung müssen folgen.
Inzwischen zeigt sich, dass das billige Geld der Europäischen Zentralbank nicht bei den Unternehmen der realen Wirtschaft ankommt. Außer in Deutschland bekommen kleine und mittlere Firmen immer weniger Kredite von ihren Banken. Die Kreditklemme ist ein riesiges Problem. Vertrauen fehlt. Und das kann auch die EZB nicht verordnen.
Wo ist der politische Wille?
Die EU-Kommission sieht erst 2014 oder 2015 einen Silberstreif am Horizont. Die größten Unsicherheitsfaktoren sind nicht Griechenland, Zypern oder Slowenien, sondern der größte Unsicherheitsfaktor ist Frankreich. In Paris entscheidet sich die Zukunft der Euro-Zone. Denn sollte Frankreich seine Hausaufgaben nicht machen, könnte es wegen seiner Größe den Rest der Währungsgemeinschaft ins Wanken bringen. Das Urteil des deutschen EU-Kommissars Günther Oettinger, Frankreich sei reformunfähig, ist zu harsch. Oettinger hat mit den Worten "Europa ist ein Sanierungsfall" aber den Finger in die Wunde gelegt und eine notwendige Diskussion angefacht. Die Erfahrung lehrt, Staaten handeln nur auf Druck, nicht aufgrund von guten Worten. Im Juni werden die Staats- und Regierungschefs der EU die Zeugnisse der EU-Kommission billigen. Ob sie die Empfehlungen dann umsetzen, wird man sehen. Die Zeugnisse des Jahres 2012 fielen ähnlich aus wie die aktuellen, passiert ist seither nicht genug. Das muss sich im Interesse Europas ändern.