Vergesst es nie!
26. Januar 2015Es ist der Ort des Grauens. Auschwitz - der Name des größten deutschen Konzentrations- und Vernichtungslagers steht für den nationalsozialistischen Wahn. Der Besuch in der heutigen Gedenkstätte lässt verstummen angesichts der Unmenschlichkeit, zu der Menschen fähig waren, und des Leids, das Deutsche hier Menschen aus so vielen Ländern angetan haben.
Nicht wenige derer, die Auschwitz überlebt haben, kehrten nie mehr an diesen Ort zurück. Jean Amery, Tadeusz Borowski, Primo Levi konnten nicht leben mit diesem Überleben und nahmen sich Jahre oder Jahrzehnte nach 1945 das Leben. Und wer ehemalige Häftlinge in Auschwitz begleitet oder beobachtet, spürt: Der Schrecken hört nie auf, niemals. Bilder bleiben, der Schmerz. Da kommen alte Menschen, die hier als Kinder Eltern und Geschwister verloren und nie den Moment vergessen, da sie die geliebte Hand loslassen mussten. Bei der großen Gedenkfeier 2005 eilte plötzlich ein alter, gebeugter Mann durch die Reihen der Staatsmänner und offiziellen Gäste, kniete nieder an der Rampe, küsste den Stein, verschwand dann wieder weinend. Dieses Bild, diese eine Szene sagte mehr über die Unfassbarkeit dieses Ortes als alle Reden des Tages.
Ein letztes Gedenken mit den Überlebenden
Am Dienstag kommen noch einmal hunderte Überlebende nach Auschwitz-Birkenau, Juden aus zahlreichen Ländern, auch rund 100 ehemalige polnische Häftlinge. Zum letzten Mal sind Zeitzeugen in so großer Zahl beim Gedenken dabei und werden diesen 27. Januar prägen. Wir sollten ihnen zuhören, solange sie noch da sind. Und ihre Erzählungen müssen uns Auftrag sein.
Es dauerte mehr als 50 Jahre, bis die Deutschen den Tag der Befreiung von Auschwitz zum Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus machten und der Bundestag zu diesem Anlass zusammenkommt. Schade, dass in diesem Jahr, in dem der Blick so sehr den Überlebenden gilt, keiner von ihnen, sondern der Bundespräsident spricht.
Gelingt dieses Gedenken? Stehen die Deutschen zu ihrer bleibenden Verantwortung? Eine vor wenigen Tagen veröffentlichte Umfrage irritiert. Demnach möchten 81 Prozent der Befragten die Geschichte der Judenverfolgung "hinter sich lassen“. Andererseits: KZ-Gedenkstätten in Deutschland, in den neuen wie in den alten Bundesländern, verzeichnen spürbar steigende Besucherzahlen. Auch die Gedenkstätte Auschwitz-Birkenau registrierte im vorigen Jahr mit mehr als 1,5 Millionen Besuchern einen Rekord. Beides zeigt: Die Erinnerung an die Shoa ist lebendig, doch sie ist nicht selbstverständlich und längst kein gesellschaftlicher Konsens. Und noch immer ist es keine Selbstverständlichkeit, dass Heranwachsende in Deutschland irgendwann in ihrer Schulzeit eines der Lager aus der Nazi-Zeit besuchen. Warum eigentlich nicht?
Wachsam bleiben und nicht im Ritual erstarren
Das Aufkommen rechtspopulistischer Bewegungen, Demonstrationen neuen Typs, eine spürbare Unverfrorenheit, fremdenfeindliche oder rassistische Äußerungen im Internet zu verbreiten oder auch in Mikrofone zu sagen - in diesen Tagen zeigt sich besonders, wie notwendig die Erinnerung an die Katastrophe der Nazi-Gräuel sind. Es braucht Wachsamkeit. Das Gedenken darf nie Ritual werden, sondern muss Konsequenzen haben.
Der französische Filmemacher Claude Lanzmann, der in seinen Werken immer wieder die Shoa thematisiert, sagt, ihm gehe es um Vergegenwärtigung, das Bewusstwerden von Dingen, auf denen die Gegenwart ruht. Dazu gehört Auschwitz - und die Verantwortung dafür, dass der Mensch nie mehr zum Unmenschen wird. Wir sind es nicht allein den Opfern schuldig - das greift zu kurz. Wir sind es der Gesellschaft schuldig, die eine menschliche bleiben soll. Auschwitz - das ist der Ort des Grauens. Der Name bleibt. Als Mahnung, als Verpflichtung.