Verfassungsfeindin AfD? Ja, aber…
13. März 2020Die Einladung zur Pressekonferenz mit Verfassungsschutz-Präsident Thomas Haldenwang kam am frühen Morgen. Zwischen Einladung und Beginn lagen nur wenige Stunden. So eilig geht es in diesen Wochen sonst nur zu, wenn Neuigkeiten zum Corona-Virus zu vermelden sind. In diesem Fall handelte es sich aber um ein anderes Virus, von dem immer größere Teile der Gesellschaft befallen sind: Rechtsextremismus. Die Kurzfristigkeit des Termins war dennoch überraschend. Denn Haldenwang berichtete keineswegs über eine neu entdeckte Gefahr, sondern über eine alte Bekannte: die Alternative für Deutschland (AfD).
Was der Chef des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV) dann verkündete, war unter dem Eindruck rechtsextremistischer Anschläge seit dem Sommer 2019 mit vielen Toten keineswegs überraschend: dass der völkische "Flügel" innerhalb der AfD als "erwiesen extremistische Bestrebung" eingestuft und beobachtet werde. "Wie bitte!?", werden einige jetzt vielleicht fragen. Was hat der "Flügel" mit den rechtsextremistischen, antisemitischen und antimuslimischen Attentaten in Kassel, Halle und Hanau zu tun?
Björn Höcke ist ein Rechtsextremist – was sonst?
Die Antwort ist eindeutig und zutreffend: "Flügel"-Frontmänner wie Björn Höcke und Andreas Kalbitz sind Leute, die nicht nur Haldenwang für "geistige Brandstifter" hält. Der BfV-Chef bezeichnet sie zu Recht als "Rechtsextremisten". Belege dafür hat seine Bundesbehörde zusammen mit den Landesämtern für Verfassungsschutz bereits im Januar 2019 vorgelegt. Damals stufte er den "Flügel" und die Nachwuchsorganisation "Junge Alternative" (JA) als Verdachtsfälle ein. Wegen ihrer offen feindseligen Rhetorik, wenn es um Flüchtlinge, Asylbewerber oder Muslime geht.
Damit trägt die AfD insgesamt, aber vor allem der "Flügel" maßgeblich zur Verrohung der Sprache bei und ermuntert zu allem entschlossene Rechtsextremisten, den Worten Taten folgen zu lassen. Daraus lässt sich natürlich keine Mittäterschaft im strafrechtlichen Sinne konstruieren. Aber eine Mitverantwortung für ein gesellschaftliches Klima, in dem Hass und immer häufiger tödliche Gewalt gedeihen.
Warum der Verfassungsschutz die Reißleine ziehen musste
Trotz dieses offensichtlichen Zusammenhangs ist und bleibt es riskant, politische Parteien – und seien es nur einzelne Strömungen – als Beobachtungsobjekt einzustufen. Dass dabei auch mal mit Kanonen auf Spatzen geschossen wird, zeigte sich bei der Linken. Die von ihr angeblich ausgehende Gefahr für die freiheitliche demokratische Grundordnung mündete im Übereifer des Verfassungsschutzes in eine langjährige Beobachtung so absolut unverdächtiger Politiker wie den gerade wieder zum Ministerpräsidenten Thüringens gewählten Bodo Ramelow.
Den mehr sozialdemokratisch als sozialistisch ausgerichteten Ramelow mit einem Zyniker wie Höcke zu vergleichen, wäre ehrverletzend – keine Frage. Aber der innerhalb der AfD weit verbreitete Typ Höcke ist seinerseits keiner, dem man die mehr oder weniger konkrete Planung von Gewalttaten unterstellen kann. Solche Fälle wurden im rechtsextremistischen Milieu in jüngster Zeit allerdings häufiger mit Hilfe des Verfassungsschutzes aufgedeckt. Und weil die hasserfüllte Rhetorik der Verdächtigen zuweilen an die von AfD-Extremisten à la Höcke erinnert, hat der Verfassungsschutz jetzt die Reißleine gezogen.
Eine notwendige Warnung an "alle Feinde der Demokratie"
Spannend ist die Frage, ob die Einstufung des "Flügels" als Beobachtungsobjekt einer rechtlichen Prüfung standhalten wird. Die AfD öffentlich als "Prüffall" zu bezeichnen, wie Anfang 2019 geschehen, wurde dem Verfassungsschutz vom Verwaltungsgericht Köln untersagt. Ein solcher Eingriff in die Rechte der AfD sei "rechtswidrig und unverhältnismäßig". Kommentierende Äußerungen zur Gesamtpartei verkneift sich Haldenwang seitdem.
"Flügel"-Protagonist Höcke könnte nun versuchen, ebenfalls mit rechtlichen Mitteln gegen seine öffentliche Stigmatisierung vorzugehen. Schlimmer noch: er könnte erfolgreich sein. Dass der Verfassungsschutz trotz dieses Risikos klare Kante zeigt, ist gut. Mit den Worten seines Präsidenten: "Dies ist eine Warnung an alle Feinde der Demokratie." Haldenwangs Botschaft ist richtig und wichtig. Nicht zuletzt die Angehörigen der jüngsten rechtsextremistischen Mordopfer und Verletzten werden sie mit Genugtuung hören.