Was will Putin eigentlich? Es war wohl diese seit Jahren nicht eindeutig zu beantwortende Frage, die die Regierung Obama nun dazu bewogen hat, die Gespräche mit Russland über eine Waffenruhe in Syrien auszusetzen. Die fortgesetzten Angriffe Russlands und seines Juniorpartners Assad auf Krankenhäuser und Spitäler in Aleppo haben nun in Washington endgültig die Gewissheit reifen lassen, Gespräche mit Moskau liefen letztlich nur auf eines hinaus: zu den unentwegten Angriffen aus der Luft einen sanften diplomatischen Soundtrack zu liefern.
Zu soviel Zynismus will man sich in Washington offenbar nicht treiben lassen. Als "Hölle auf Erden" hat UN-Nothilfekoordinator Stephen O'Brien die Lage in Aleppo bezeichnet, deren tagtägliche Wirklichkeit er in drei Worten zusammenfasste: "Blutbad. Schlachterei. Gräuel." Gemünzt waren sie auf Russland und Syrien, die nicht nur in seinen Augen die Baumeister dieser Hölle sind.
Freiluftfalle Aleppo
Was will Putin eigentlich? Diese Frage harrt nicht nur in Washington einer Antwort. Seit Russland vor Jahren, zusammen mit China, eine erste Resolution des UN-Sicherheitsrats zu Syrien wiederholt verhindert hat, rätselt man über Putins Motive. Die in Washington als am schlüssigsten angesehene Deutung ist die, Putin wisse es selbst nicht so genau. Taktisches Hantieren, in der Ukraine und in Syrien, um sein Land als globale Spieler präsentieren zu können - koste es, was es wolle. Koste es auch die Zerstörung Syriens, die der UN-Sicherheitsrat ohne die fortgesetzte russische Blockade-Politik womöglich hätte verhindern können.
Jetzt könnte der Sicherheitsrat diese Aufgabe nur mit größten Schwierigkeiten erfüllen. Denn das seit Jahren anhaltende Chaos hat zahllose Dschihadisten ins Land gezogen - genau jene Verbrecher, mit deren Präsenz Russland und Syrien nun ihre Einsätze legitimieren. In Teilen ist ihre Argumentation nachvollziehbar: Kämpfer, die - wie in Ost-Aleppo - hunderttausende Zivilisten als Geiseln nehmen und als menschliche Schutzschilder missbrauchen, lassen an ihrer menschenverachtenden Haltung keinerlei Zweifel. Sie gehören bekämpft.
Das Problem ist nur: Jede Bombe auf Aleppo lässt die Solidarität der Eingeschlossenen mit ihren Geiselnehmern weiter wachsen. Denn alle Dschihadisten, Zivilisten und die Reste der ehemals säkularen Oppositionskämpfer sitzen in der Falle - einer riesigen Freiluftfalle, auf die Tag für Tag Bomben hageln. Man kann sich die psychotischen Zustände ausmalen, die in einer solchen Lage entstehen. Ohne körperlichen und / oder seelischen Schaden dürfte kaum jemand in der Stadt überleben.
Chaos auf Jahre
So konzentriert sich in Aleppo, was letztlich in ganz Syrien der Fall sein wird: Dem dort entstandenen Chaos werden Assad und sein Regime niemals wieder Herr. Der Staat ist ruiniert, ihn aufzubauen, wird ohne internationale Hilfe unmöglich sein. Doch von dem derzeitigen, finanziell ebenfalls gebeutelten Waffenpartner Russland kann diese Hilfe kaum kommen.
Fraglich ist zudem, wie Assad, wenn er denn politisch "gerettet" wird, den gescheiterten Staat überhaupt regieren will. Selbst wenn er sich dank seiner Beschützer in Aleppo und anschließend in anderen Landesteilen durchsetzen sollte: Das Land wird er nicht wieder befrieden können. Mini-Aufstände und -attacken werden an der Tagesordnung sein. Einen - ohnehin bestenfalls vordergründigen - Frieden könnte er nur mit der eisernen Hand Russlands erwirken. Das aber hieße: Russland erlebte ein neues "Afghanistan". Wie Putin das seinen Landsleuten erklären will, bleibt sein Geheimnis.
Kultur des Todes
Doch selbst wenn Assad abträte, bleibt Syrien auf absehbare Zeit unbewohnbar. Seit mehr als fünf Jahren pflegen Assad auf der einen und die Dschihadisten auf der anderen Seite eine Kultur des Todes, die das Land noch über Jahre im Griff halten wird. Das Land wird ein hotbed des internationalen Terrorismus. Beherrschen lässt sich dieses Erbe Assads und der Dschihadisten nur durch eine internationale Allianz, an der sich neben Russland und den USA auch Iran, die arabischen Staaten (insbesondere die am Golf) sowie Türkei und die EU beteiligen müssten. Für einen solchen Schritt ist der Leidensdruck inner- und außerhalb Syriens aber offenbar noch nicht groß genug.
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