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Tabu und Strafe

Dagmar Engel25. September 2014

Einvernehmlicher Sex unter erwachsenen Geschwistern sollte nicht strafbar sein, empfiehlt der Ethikrat. Das Justizministerium will das Verbot aber nicht antasten. Verständlich, findet Dagmar Engel, aber trotzdem falsch.

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Symbolbild Liebe
Bild: MNStudio - Fotolia

Machen Sie den Test unter Ihren Freunden und Verwandten: Intuitiv werden die meisten die Straffreiheit für Inzest ablehnen. Das Tabu sitzt tief. Es speist sich aus Geschichte, Erfahrung, Religion und Tradition, nicht in allen, aber tatsächlich in den meisten Kulturen dieser Welt. Bestraft aber wird der einvernehmliche Beischlaf zwischen Bruder und Schwester in vielen Ländern nicht, in so unterschiedlichen wie zum Beispiel Frankreich, Russland, der Türkei, Japan, Argentinien, der Elfenbeinküste oder den Niederlanden. Die Begründung dafür lautet: Es gibt kein Opfer.

Eugenik allein ist kein Verbotsgrund

Aber, so werden Ihre Freunde und Verwandten rufen, es gibt doch potentielle Opfer! Das Risiko, dass Kinder, die aus einer solchen Verbindung hervorgehen, behindert sind, sei überproportional groß. Ganz grob vereinfacht stimmt das, trifft aber auch bei Verbindungen von Menschen mit bestimmten Erbkrankheiten zu. Oder bei Alkoholikern. Oder bei Schwangerschaften jenseits der Vierzig. Beischlafverbot für sie alle!

Dabei bilden die eugenischen Gesichtspunkte ohnehin nicht die Basis für das Gesetz: Sterilisation ändert nichts am Straftatbestand. Alle anderen Spielarten des einvernehmlichen Sex lässt das Gesetz zu, das der Ethikrat revidiert sehen will.

Aber trotzdem bleibt das Gefühl, eine solche Reform wäre falsch: Würde sie nicht die Moralvorstellungen verletzen? Gar die Familie zerstören? Da hilft der Blick in die anderen Länder - siehe oben - und in die Wissenschaft: Mit der Abschaffung der Strafnorm verschwindet nämlich nicht das Tabu. Der nach dem finnischen Anthropologen Edward Westermarck benannte Westermarck-Effekt verhindert, dass sich Geschwister massenhaft ineinander verlieben - wer sich von Klein auf kennt, findet sich sexuell unattraktiv.

Kommentarfoto Dagmar Engel Hauptstadtstudio
Dagmar Engel, Leiterin des DW-HauptstadtstudiosBild: DW/S. Eichberg

Nicht das gesetzliche Verbot begründet das Tabu

Deswegen gibt es auch nur so wenige Fälle, die von diesem Teil des deutschen Strafgesetzbuchs betroffen sind. Geschwisterinzest - und nur um den geht es hier - scheint nach allen verfügbaren Daten in den westlichen Gesellschaften sehr selten zu sein, schreibt der Ethikrat. Diese wenigen Menschen aber besitzen genauso das Grundrecht auf sexuelle Selbstbestimmung und auf das Streben nach Glück. Weg also mit der Strafnorm. Das Tabu wird es überleben!