Schluss mit dem Unsinn!
5. Februar 2019Ja, auch ich tue es jetzt: Ich nehme einen Welttag zum Anlass für diesen Kommentar. Dabei will ich eigentlich gerade dazu aufrufen, dies in Zukunft grundsätzlich sein zu lassen. Mein Plädoyer: Keine Artikel mehr, keine Bildergalerien, keine Kommentare, keine Interviews - nur weil irgendjemand irgendwann einmal die Idee hatte, einen Welttag auszurufen.
Aber sei's drum - los geht's: Der 5. Februar ist nämlich "World Nutella Day", wie ich jüngst völlig überrascht in einer Werbebroschüre meines Lebensmittelhändlers lesen durfte. Das war der Tropfen, der für mich das Fass zum Überlaufen brachte und mich inspirierte, endlich gegen diesen Wahnsinn anzuschreiben und Ihnen, verehrte Leserinnen und Leser, einen Einblick in die bittere Arbeitsrealität der journalistischen Zunft zu gewähren.
Fünf Welttage in 24 Stunden werben um Ihre Gunst
Und dann fand ich noch etwas heraus: Der Welt-Nutella-Tag ist gleichzeitig auch noch "Safer Internet Day", "Weatherman's Day", "Chocolate Fondue Day" und "Western Monarch Day". Und der 5. Februar ist nur ein einziger Tag des Jahres - quasi zufällig ausgewählt. Jeder andere Tag des Jahres ist in gleicher Weise überbucht, sei es durch die Liebhaber der Seekühe, Leute die gerne im Büro Jogginghosen tragen, ihren Haustieren affige Kostüme anziehen oder diejenigen, die gerne gefrorenen Joghurt essen.
Es ist schlimmer als mit dem Heiligenkalender der katholischen Kirche, denn den nimmt kaum noch jemand wahr. Nur an ganz wichtigen Feiertagen springen die Medien noch darauf an.
Planungsredakteure auf Themensuche
Wir Journalisten sind immer auf der Suche nach Themen - da kommen uns diese Welttage ganz recht. Und tappen voll in die Falle, die irgendwelche PR-Profis für uns aufgestellt haben.
Dabei ist es egal, ob sie für wohltätige internationale Organisationen arbeiten oder für den Kommerz. Den Fehler machen ja wir Journalisten, indem wir uns überhaupt Themen von außen diktieren und uns so vereinnahmen lassen.
Das läuft dann in etwa so ab: Was für Themen haben wir denn nächste Woche? Gibt es denn irgendwelche Welttage? Aha: "Cycle to work day" - da gibt es doch bestimmt einen Aspekt, über den wir noch nicht berichtet haben!
Zugegeben: Die Kollegen in den Ressorts Nachrichten, Politik und Wirtschaft werden vor allem von aktuellen Themen angetrieben und sind auf Welttage wahrlich nicht angewiesen.
Aber bei Langfrist-Planern und Redakteuren aus Bereichen wie Wissenschaft, Umwelt oder Kultur stößt der eine oder andere Welttag doch mal auf Interesse - mit zuverlässiger Regelmäßigkeit bei Redaktionskonferenzen, auf denen die nächste Woche oder der nächste Monat vorbesprochen wird.
Hatten wir das eigentlich schon?
Und ganz sicher findet sich dann immer noch ein Schlaumeier, der einen ach so inspirierten Artikel zu diesem oder jenem Welttag irgendwann einmal gesehen (nicht unbedingt gelesen) hat und fragt: "Haben wir darüber eigentlich schon einmal berichtet?"
Die Medien kreisen um sich selbst. Jeder muss es machen, weil die anderen es schon hatten. Anstatt die Redaktion zu verlassen und selbst Themen zu finden und zu setzen, findet in vielen Medienhäusern ein regelrechtes Themen-Recycling statt. Der nötige Output muss ja irgendwie entstehen.
So kommt eins kommt zum anderen. Und diejenigen, die um Aufmerksamkeit buhlen, rufen immer mehr obskure Welttage ins Leben - weil die Marktschreierei nämlich funktioniert.
Und was ist mit den "edlen" Welttagen?
Zugegeben, einige der etablierten Welttage sind durchaus mit hehren Zielen ins Leben gerufen worden: etwa der Welt-AIDS-Tag. Doch selbst solche Tage, die unter Journalisten-Kollegen fast wie unantastbare Pflichttage behandelt werden, sollten wir immer wieder journalistisch in Frage stellen.
Denn HIV ist längst kein Todesurteil mehr, wenn die Patienten gewissenhaft ihre Medikamente einnehmen. Und dass Safer Sex wichtig ist, weiß doch heute eigentlich jedes Kind. Müssen wir da wirklich einmal im Jahr alle gemeinsam hopsen und das - natürlich weiterhin gültige - alte Mantra "Kondome schützen" aus den 1980er-Jahren herunterbeten? Oder Wasserstandsmeldungen der jüngsten Infektionsraten vermelden, gerade wenn es eigentlich nichts substanziell Neues zu berichten gibt?
Auch Jahrestage sind nicht heilig
Ähnliches gilt für Jahrestage: Weniger ist mehr. Ja, die Bombenabwürfe auf Hiroshima sind sicherlich historisch bedeutsam, weil sie schreckliche Ereignisse waren. Sie verdienen gründlich erklärt und eingeordnet zu werden.
Aber reicht es nicht, die runden Jahrestage zu begehen? Ist es wirklich nötig, ritualisiert auch den 73. und den in diesem Jahr nahenden (und ich wette: viele Medien werden berichten) 74. Jahrestag von Hiroshima ausführlich in den Nachrichten zu würdigen? Kann man damit nicht mal bis zum 75. Jubiläum im Jahr 2020 warten?
Oder muss die jährliche Berichterstattung einfach sein, um eigene tief verwurzelte Ressentiments zu pflegen und immer wieder daran zu erinnern, dass die Amerikaner dem Zweiten Weltkrieg mit einem grausigen Paukenschlag ein Ende setzten.
Und als vergangenes Jahr hier und da über den 32. Jahrestag der Atomkatastrophe von Tschernobyl berichtet wurde: Könnte das vielleicht eher darauf hindeuten, dass die Redakteure ihre persönlichen Anti-Atom-Steckenpferde reiten? Oder machen sie das einfach so, ohne nachzudenken? Weil es eben zum Jahreskalender dazugehört wie Frühling, Sommer, Herbst und Winter?
Ähnlich kritische Frage müssen wir uns bei Welttagen wie Jahrestagen grundsätzlich immer stellen: Wer bezweckt mit dem Welttag eigentlich was? Im Zweifel empfiehlt sich: Einfach ignorieren und stattdessen eigene interessante Themen setzen! Damit ist dem Publikum am ehesten gedient.
Und mein Nutella? Bleibt im Kühlschrank, dort wo es hingehört!