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Politik

Schwarz-Weiß-Denken im Fall Myanmar

8. September 2017

Die Empörung über das brutale Vorgehen der Armee gegen die Rohingya in Myanmar ist verständlich. Aber Vorsicht vor Solidarität aus Eigennutz und vor Propaganda, meint Rodion Ebbighausen.

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Rohingya-Konflikt in Myanmar
Bild: picture-alliance/dpa/B. Armangue/AP

Bei der Gewalt in Myanmars nordwestlichem Rakhine-Staat scheint alles ganz einfach. Eine ethnische Minderheit, oft als am stärksten bedrohte Minderheit der Welt bezeichnet, wird mit brutaler Gewalt von einem gnadenlosen Militärapparat unterdrückt, ermordet und vertrieben. Die Rollen sind klar verteilt: Die Rohingya sind die Opfer, die Buddhisten und die Sicherheitskräfte Myanmars sind die Täter.

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DW-Redakteur Rodion EbbighausenBild: DW

Der Mangel an Informationen von unabhängiger Seite verschärft das Schwarz-Weiß-Denken und lässt den Konflikt zur globalen Propagandaschlacht werden. Auf Webseiten und in den sozialen Medien kursieren Gräuelbilder bis hin zu Kannibalismus, welche die Verbrechen der Sicherheitskräfte Myanmars belegen sollen. Ein Teil der Bilder - wie viele ist kaum abzuschätzen - sind Falschmeldungen. Sie stammen aus anderen Konflikten und anderen Zusammenhängen. Auf der anderen Seite bestreitet die Zentralregierung unter Führung von Aung San Suu Kyi jegliche Verbrechen gegen die Menschlichkeit und spricht von einer angemessenen Reaktion der Sicherheitskräfte gegen islamistische Terroristen.

Globale Meinungsmaschinerie

Politiker und Prominente aus der ganzen Welt reagieren auf die Krise und stellen Forderungen an die Regierung. Die meisten haben sicher hehre Absichten, wenn sie ein Ende der Gewalt verlangen. Anderen aber, wie etwa dem malaysischen Premierminister Najib Razak, Indonesiens Präsident Joko Widodo, Präsident Kadyrow in Tschetschenien oder Präsident Erdogan aus der Türkei, geht es weniger um die Rohingya, sondern vielmehr darum, innenpolitisch zu punkten, wenn sie sich als Schild und Schutz der Glaubensbrüder gerieren. Damit verstärken diese Staatsmänner das Lager-Denken und tragen dazu bei, dass sich die Fronten weiter verhärten.

Dasselbe gilt für diejenigen Aktivisten, die seit Jahren die Verschwörungstheorie verbreiten, die Rohingyas seien Opfer eines auf die 1970er Jahre zurückgehenden Plans des Militärs, die Rohingyas auszurotten. Doch wer ernsthaft am Frieden in der Region interessiert ist, sollte sich als erstes mit der ganzen Vielschichtigkeit des Konflikts auseinandersetzen und vorschnelle Urteile und Zuschreibungen vermeiden.

Ethnie und Staatsbürgerschaft

Ein Beispiel: Seit Jahrzehnten gibt es einen Streit um die Bezeichnung Rohingya. Während Aktivisten, Politiker und Vertreter dieser Gruppe sich selbst als Rohingya bezeichnen, besteht die Regierung in Myanmar darauf, dass die Bezeichnung "Muslime im Rakhine-Staat" korrekt ist. Radikale Gegner der Muslime sprechen nur von "Bengalis", um anzuzeigen, dass es sich um illegale Migranten handelt.

Der Streit um die Bezeichnung hat in Myanmar eine hohe politische Relevanz, denn Staatszugehörigkeit und Bürgerrechte werden in Myanmar seit der Kolonialzeit ethnisch definiert. Das zeigt sich schon an Staaten wie dem Shan-, Kachin- oder Chin-Staat, die auf eine jeweilige Ethnie verweisen. Mit anderen Worten: Nur wer Mitglied einer indigenen Volksgruppe ist, kann ohne Weiteres als Bürger des Landes anerkannt werden. Wer anerkannt werden kann und wer nicht, das legt in Myanmar eine staatliche Behörde fest. In Myanmar wird dafür das umstrittene Staatsbürgerrecht von 1982 angewandt, das sich weitgehend auf das von 1948 bezieht, als die gerade unabhängig gewordene Nation fremde Einflüsse, insbesondere der Inder und Chinesen, zurückdrängen wollte und deshalb rückwirkend deren Staatsbürgerschaft aberkannte. 

Kampf um Anerkennung

Unter diesen Voraussetzungen ist es nur folgerichtig, dass die Rohingya alles versuchen, um als indigene Volksgruppe anerkannt zu werden, deren Vorfahren schon immer auf dem Boden des heutigen Myanmar gelebt haben. So erklärte ein militanter Rohingya in einem Interview mit der „Asia Times", dass seine Bewegung einen "offenen Krieg" führen werde, bis die Bürgerrechte der Rohingya wieder hergestellt seien. Historiker und Aktivisten der Rohingya-Bewegung bemühen sich seit Jahren, die Geschichte der Region so umzudeuten, als seien die Rohingya als klar definierte Gruppe seit Jahrhunderten im Rakhine-Staat ansässig.

Das wiederum akzeptieren die buddhistischen Arakanesen im Rakhain-Staat nicht. Sie deuten die Geschichte in ihrem Sinne und sehen eine jahrhundertalte Tradition eines buddhistischen Königreichs, in dem verschiedene muslimische Gruppen eine durchaus wichtige Rolle spielten, allerdings immer unter der wohlwollenden Protektion der buddhistischen Könige des Landes.

Fakt ist: Der Rakhine-Staat war über viele Jahre buddhistisch dominiert, hat aber auch immer diverse muslimische Minderheiten beherbergt. Es kann auch kaum bezweifelt werden, dass mit dem Beginn der Kolonialzeit Anfang des 19. Jahrhunderts größere Einwanderungswellen aus dem benachbarten Bengalen nach Rakhine gekommen sind. Ebensowenig kann bezweifelt werden, dass die Muslime in diesem Teil Myanmars ihre Heimat haben.

Neutralität als Illusion

Allein die Bezeichnung "Rohingya" ist also ein hoch politisierter Begriff. Wenn ihn Medien, Aktivisten oder Politiker verwenden, beziehen sie Stellung. Umgekehrt ist aber auch die Bezeichnung "Muslime im Rakhine-Staat" keineswegs neutral. Aus Sicht der Bezeichneten wird ihnen damit die Zugehörigkeit zu der von ihnen reklamierten einheimischen Herkunft aberkannt und damit jede Chance auf Anerkennung. Da sie auch in Bangladesch nicht als Staatsbürger anerkannt werden, sind sie staatenlos. Das Beispiel zeigt: In der aktuellen Lage gibt es keinen neutralen Boden, von dem aus der Konflikt unparteiisch beschrieben und beurteilt werden kann.

Was tun angesichts dieses Dilemmas? In Anbetracht der humanitären Katastrophe ist Schweigen keine Alternative. Aber wer sich äußert, muss sich darüber im Klaren sein, dass er zwangsläufig Teil des Konflikts wird. Unter diesen Umständen kommt es darauf an, die größtmögliche Distanz zu Propaganda und Stimmungsmache zu halten, nur die Informationen weiterzugeben, die von mindestens zwei, möglichst unabhängigen Quellen bestätigt wurden, und jedes Wort genau abzuwägen. In jedem Fall sollten Politiker und Aktivisten die Notlage der Betroffenen nicht für eigene Zwecke instrumentalisieren. Sonst wird sich die aktuelle Gewalt in die Zukunft fortschreiben, die eine Wiederholung der Gewalt von 2012 ist, die wiederum eine Wiederholung der Ereignisse von 1992, von 1978 und noch früherer Zeiten ist.

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Rodion Ebbinghausen DW Mitarbeiterfoto
Rodion Ebbighausen Redakteur der Programs for Asia