Putin und der Schatten Stalins
Immerhin: Präsident Wladimir Putin weihte etwa 40 Gehminuten vom Roten Platz entfernt eine neue Gedenkstätte für die Opfer politischer Repression ein - die "Mauer der Trauer". Das gilt es anzuerkennen. Bislang hat sich Putin zu Stalin widersprüchlich geäußert. Er nannte den georgischen Diktator einst einen "fähigen Führer". Noch im September ließ er zu, dass vor einem militärhistorischen Museum eine Stalin-Büste errichtet wurde. Jetzt verurteilte der Kremlchef ohne Wenn und Aber die Verbrechen der Stalinzeit: Millionen Unschuldiger wurden ermordet, ins Gefängnis geworfen, nach Sibirien verbannt.
Mit seinen Worten distanziert sich der Präsident von Stalin. Dafür wurde es auch höchste Zeit. Es gibt an den Schandtaten Stalins, Lenins und ihrer Epigonen nichts zu beschönigen, nichts zu entschuldigen. Putins Worte würden noch mehr Gewicht haben, wenn ihnen Taten folgen würden. Denn der Präsident kann nicht die Opfer politischer Gewalt beklagen und gleichzeitig Oppositionelle verfolgen oder die Medien gleichschalten.
Putins Dilemma: Wie die tragische Geschichte seines Landes aufarbeiten, ohne dabei die eigene Macht zu gefährden - nur wenige Monate vor den nächsten Präsidentschaftswahlen? Im Zweifelsfall hat Putin sich immer für die Erhaltung der Macht entschieden. Denn sein Mantra lautet: Stabilität. Tief verwurzelt ist er im Milieu der Sicherheitskräfte. Den Untergang der Sowjetunion, eines in seinen Augen funktionierenden Staates, hat er als Katastrophe, die Wirren der 90er Jahre als Demütigung Russlands empfunden. Diesem Kremlchef geht es vor allem darum, eine Wiederholung dieser jüngsten Geschichte zu verhindern. Die Verbrechen unter Stalin oder Lenin scheinen für ihn weit weg, berühren ihn kaum. Für ihn ein Thema, mit dem sich Historiker oder Menschenrechtler beschäftigen sollen.
Bei aller berechtigter Kritik an Putin ist es doch gut, dass er die "Mauer der Trauer" der Öffentlichkeit übergeben hat. Vielleicht wird dies am Vorabend des Jahrestages der so genannten Oktoberrevolution eine Diskussion neu entfachen, wie mit der eigenen Geschichte umgegangen werden soll. Der Spiegel der Zukunft kann, muss aber nicht das Vergangene sein.
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