Noch kein Sieg der Straße in Rumänien
Als der rumänische Premierminister Sorin Grindeanu zur abendlichen Prime-Time erklärte, seine Regierung wolle die Eilverordnung zur Änderung des Strafgesetzes kippen, waren in ganz Rumänien wieder mehrere Hunderttausend Menschen auf der Straße. Den ganzen Samstag über hatten Politiker aus dem Regierungslager angedeutet, das umstrittene Dekret werde aufgehoben. Doch der Vertrauensverlust der regierenden Sozialdemokraten hat sich in dieser letzten Woche dermaßen ausgebreitet, dass diese Ankündigungen nicht die erhoffte Wirkung hatten. Grindeanu betonte in seiner kurzen Presseerklärung, er wolle mit dieser Entscheidung die angespannte Lage entschärfen. Am Sonntag wolle seine Regierung in einer Dringlichkeitssitzung über ihr weiteres Vorgehen entscheiden. Er sprach über Aufhebung, Verschiebung, Änderung der Eilverordnung – keiner weiß so richtig, was die Regierung vorhat. Vielleicht spielt sie nur auf Zeit? Für diesen Sonntag sind Protestaktionen mit über einer Million Teilnehmern angekündigt.
Das unsichere Auftreten des Premiers und seine unklaren Botschaften sind keineswegs angetan, die Straße zu beruhigen. Waren die Menschen bisher gegen die Eilverordnung, durch die Korruption teilweise straffrei gestellt werden sollte, auf die Straße gegangen, fordern sie jetzt den Rücktritt der Regierung. Solche Massenproteste hat es in Rumänien seit dem Sturz des kommunistischen Regimes vor 27 Jahren nicht gegeben.
Den vielen Menschen, die friedlich seit fast einer Woche auf die Straße gehen - Jung und Alt, Familien mit Kind und Hund - ist das plötzliche Einlenken der Regierung nicht geheuer. Am Vortag noch hatte der Chef der Sozialdemokraten, Liviu Dragnea, jegliches Nachgeben ausgeschlossen. Dragnea, der Strippenzieher hinter seiner Marionetten-Regierung, wäre der erste gewesen, der von den Änderungen des Strafgesetzes profitiert hätte. Sein aktueller Prozess wegen Amtsmissbrauchs wäre im Sand verlaufen. Die Zivilgesellschaft traut dem Frieden nicht und hat weitere Proteste angekündigt. Der rumänische Präsident Klaus Iohannis, der gegen die umstrittene Verordnung eine Verfassungsklage eingereicht hat, begrüßte die Ankündigung des Premiers als ersten Schritt, dem weitere folgen müssten.
Ein solcher weiterer Schritt ist die Aufhebung des Gesetzentwurfs zur Begnadigung, von dem einige wegen Korruption oder Amtsmissbrauchs verurteilte Politiker profitieren könnten. Auch diese Regelung käme Dragnea zugute, der wegen Wahlmanipulation zu einer zweijährigen Bewährungsstrafe verurteilt wurde. Wegen dieses Urteils durfte er nach dem Wahlsieg seiner Sozialdemokraten im Dezember letzten Jahres das Amt des Premierministers nicht übernehmen. Dass seine Partei ohne Rücksicht auf Verluste die Gesetzgebung maßgeschneidert nach den Nöten und Wünschen ihres Chefs umkrempelt, ist einzigartig in der EU. Zwar gab es Kritik aus Brüssel und aus einigen Mitgliedstaaten, aber eine klare Distanzierung der europäischen – auch der deutschen – Sozialdemokraten von einer derart klaren Aushebelung des Rechtsstaats blieb aus. Ein denkbar schlechtes Zeichen einer falsch verstandenen parteipolitischen Solidarität.
Die rumänische Zivilgesellschaft hingegen ist in diesem Winter gereift. Ihr friedliches, konsequentes und klares Aufbäumen gegen Korruption und Willkür verdient Respekt. Sie lässt sich nicht mehr mit einigen Brosamen und leeren Versprechungen abspeisen. Den Kampf gegen das marode politische System hat sie zwar noch nicht gewonnen. Doch die landesweiten Proteste sind das unmissverständliche Zeichen dafür, dass den Politikern stärker auf die Finger geschaut wird. Auch in Rumänien wird sich eine politische Partei daran gewöhnen müssen, dass sie sich nach einem klaren Wahlsieg nicht über das Gesetz stellen darf.
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