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Kommentar: Neue Ideen zur Zukunft der EU?

Bernd Riegert, Brüssel10. Mai 2006

Statt schon wieder neue Strategie-Papiere zu produzieren, täte die EU-Kommission gut daran, die Projekte aus den alten Papieren umzusetzen - meint Bernd Riegert in seinem Kommentar.

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Bernd Riegert

Fast ein Jahr nach dem "Non" aus Frankreich und dem "Nee" aus den Niederlanden zur ersten EU-Verfassung ist das selbst verordnete Nachdenken ohne greifbares Ergebnis geblieben. Einig sind sich die führenden Köpfe in der weiter wachsenden EU lediglich, dass man eine Verfassung braucht, die Europa demokratischer, durchschaubarer und führbarer machen soll. Deshalb werden die Staats- und Regierungschefs aus lauter Ratlosigkeit bei ihrem Gipfel-Treffen im Juni den Stillstand mit blumigen Worten verlängern - mindestens bis Mai 2007, wenn in Frankreich und den Niederlanden gewählt werden wird.

Aus diesem Grund sind die Erwartungen an die künftige EU-Ratspräsidentin Angela Merkel, die im ersten Halbjahr 2007 das Zepter schwingen wird, sie werde die halbtote Verfassung wiederbeleben, wohl reichlich überzogen. Die Bundeskanzlerin selbst bemüht sich, die Erwartungen zu dämpfen, die vor allem von EU-Abgeordneten aus ihrem eigenen konservativen Lager geschürt werden.

Der derzeit amtierende Ratspräsident, Österreichs Bundeskanzler Wolfgang Schüssel, hat zugestanden, dass er bis zum Juni-Gipfel nur noch wenig ausrichten kann und spricht nun davon, dass die Verfassung wohl erst 2008 wieder auf der europäischen Tagesordnung stehen wird, zumal auch die beiden großen EU-Staaten Großbritannien und Italien wegen der innenpolitisch schwierigen Verhältnisse auf der EU-Bühne nicht so recht handlungsfähig sind.

Die Verfassungskrise hindert die EU zurzeit nicht daran, im Alltag zu funktionieren. Daraus kann man schließen, dass es so dringend dann doch wohl nicht ist mit dem großen neuen Vertragsprojekt. Schließlich sind in den vergangenen 50 Jahren schon viele neue Verträge zwischen den Mitgliedsstaaten erst unter Schmerzen, mit teilweise wiederholten Referenden, geboren worden.

Reformen auch ohne Verfassung

Während der Rat der Häuptlinge also weiter nachdenken will, versucht EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso in die Lücke zu stoßen. Er hat ein Strategie-Papier zur Zukunft der EU vorgelegt, das vor allem die Kompetenzen Brüssels stärken soll. Barrosos Plädoyer für Ergebnisse statt mühselige Diskussionen um Verfahrensfragen hat einen gewissen Charme. Die EU-Bürger fragen nämlich immer lauter, was bringt uns Europa eigentlich? Sie fragen nicht nach einer ambitionierten Verfassung, die erst in vielen Jahren ihre Wirkung entfalten würde.

Wenn es den politischen Willen gäbe, könnten die EU-Staaten schon heute auf Grundlage bestehender Verträge ihre Zusammenarbeit auf einigen Felder, auch dem der Justiz- und Innenpolitik verstärken. Die Vorschläge des Kommissionspräsidenten klingen logisch, er muss aber wissen, dass er mit der Forderung nach Mehrheitsentscheidungen auf diesem sensiblen Feld bei vielen Mitgliedsstaaten, darunter Deutschland, auf Granit beißen wird.

Profil schärfen

Dem Kommissionspräsidenten, der in der Vergangenheit als zu passiv kritisiert wurde, geht es vor allem darum, seine eigene Handlungsfähigkeit zu beweisen, sein Profil zu schärfen, das Gewicht der Kommission im Gefüge der EU-Institutionen zu stärken.

Statt schon wieder neue Strategie-Papiere zu produzieren, täte die EU-Kommission gut daran, die Projekte aus den alten Papieren umzusetzen. Die Wirtschaft-Reformen unter dem Sammelbegriff "Lissabon-Prozess" kommen nur schleppend voran, die Öffnung der Dienstleistungsmärkte wird nur halbherzig angepackt und die Entrümpelung der EU-Bürokratie und des Gesetzgebungsverfahrens steckt noch immer in der embryonalen Phase. Da würden die EU-Bürger gerne die von José Manuel Barroso angekündigten Resultate sehen.

Immerhin: Auf Druck der EU-Regulierungsbehörde wollen jetzt die Telefon-Gesellschaften ihre Preise für grenzüberschreitende Handy-Gespräche in Europa senken. Verglichen mit dem Verfassungsprojekt eine kleine Baustelle, aber eine, die wenigstens konkret zeigt, dass die EU den oft beschworenen "Mehrwert" für die Bürger haben kann.