Theresa May allein zu Haus
Theresa May muss jetzt ganz hart sein. Der ruchlose Angriff gegen einen eingebürgerten Russen und dessen Tochter auf britischem Boden sorgt für öffentliche Empörung. Der eingesetzte chemische Kampfstoff wurde inzwischen als Super-Gift aus russischer Produktion identifiziert. Und Wladimir Putin steht in Verdacht, die Attacke gegen den früheren Doppelagenten Sergej Skripal wenn nicht in Auftrag gegeben, so doch zumindest sanktioniert zu haben. Die britische Regierung findet sich zwischen Wut und Hilfslosigkeit.
Theresa May und die fehlende Glaubwürdigkeit
Als 2006 Alexander Litwinenko ermordet wurde, ebenfalls russischer Ex-Spion und Kreml-Kritiker, war Theresa May noch Innenministerin. Sie verschleppte den Fall damals endlos, bloß um sich nicht mit Moskau anzulegen. Erst nach knapp einem Jahrzehnt wurde die mutmaßliche Verwicklung des Kreml in den Mord festgestellt.
Seitdem gab es gut ein Dutzend weitere verdächtige Todesfälle von russischen Bürgern in Großbritannien, die als Zufälle eingestuft und von der Regierung in London heruntergespielt wurden. Aber damit soll jetzt Schluss sein. Der Druck aus ihrer eigenen Partei auf May ist enorm. Die Konservativen finden es unerträglich, keine harte Reaktion auf Moskaus Provokationen zu finden. Und die Premierministerin muss irgendwie ihre Glaubwürdigkeit wieder herstellen.
"Klein-Moskau" an der Themse
Den Boden für ihre gegenwärtigen Probleme mit Putin haben die Briten selbst geschaffen. Nach dem Ende der Sowjetunion öffneten sie die Türen für die russischen Raubritter, solange sie nur genug Geld mitbrachten. In ihrem Gefolge kamen Dissidenten, aktive und frühere Spione, zwielichtige Geschäftemacher. "Klein-Moskau" an der Themse wurde zu einer riesigen Geldwaschmaschine und die britische Hauptstadt profitierte von den neureichen Russen.
Inzwischen ist die "Russian Connection" längst im Establishment angekommen. Ein ehemaliger Putin-Vertrauter kaufte eine britische Zeitung, die Konservativen erhielten zuletzt knapp eine Million Parteispenden von russischen Bürgern. Und Oppositionspolitiker tummeln sich gern in den Sendungen von Russia Today.
Ein britischer Gegenschlag?
Die Premierministerin muss also das Ruder hart herum reißen, wenn sie jetzt dem Kreml gegenüber Härte und Entschlossenheit zeigen will. Dafür hat London inzwischen eine Art Drohkulisse aufgebaut: Die reicht von der Ausweisung von Diplomaten, sprich Spionen, über das Einfrieren von Oligarchen-Geldern, dem Abschalten des russischen Senders "Russia Today" bis zur sogenannten "nuklearen Option" - einer Absage der Teilnahme an der Fußball-WM in Russland in diesem Sommer.
Aber auch dieser Gegenschlag, der Präsident Putin sicherlich am härtesten treffen würde, wäre richtig wirksam nur dann, wenn alle Europäer mitmachen. Und dazu hat bisher noch niemand Neigung gezeigt. Das gleiche gilt für weitere Sanktionen: Wenn London sie alleine verhängt, bleiben sie weitgehend lachhaft.
Bei der Sicherheitskonferenz in München vor wenigen Wochen hatte Theresa May in bewegten Worten eine neue Sicherheitspartnerschaft nach dem Brexit beschworen. Aber die Reaktion aus der EU blieb verhalten. Die hat wenig Lust, die künftige Zusammenarbeit mit den Briten als Karte im Brexit-Poker anzuerkennen.
Plötzlich ein Verbündeter gegen den Kreml weniger
Die kräftige Unterstützung gegenüber dem Kreml aber, die der nunmehr Ex-US-Außenminister Rex Tillerson der britischen Premierministerin gespendet hat, soll diesen womöglich sogar den Job gekostet haben, so wird gemutmaßt. Jedenfalls kann sie sich seine warmen Worte jetzt nur noch gerahmt an die Wand hängen.
Die EU hat es ebenfalls nicht an starken Worten fehlen lassen und Solidarität mit Großbritannien als Mitgliedsland beschworen. Und tatsächlich kann die britische Regierung formell noch ein Jahr lang auf die Unterstützung der Partner in Brüssel setzen. Politisches Kapital allerdings hat May in der EU keines mehr. Die Straße zum Brexit führt unweigerlich zum Austritt des Königreiches in einem Jahr. Hinter den Kulissen gibt es derzeit wenig Neigung, London zu Liebe die Sanktionen gegenüber Russland zu verschärfen.
Theresa May erfährt jetzt, wie es sich so lebt ganz allein zu Haus. Und dies ist keine gute Zeit, um international isoliert zu sein. Trumps Handelskrieg und eine verhärtete Außenpolitik in Washington lassen für Europa wenig Gutes erwarten. Vielleicht hatte die Premierministerin über diesen Aspekt der Brexit-Kosten zuvor noch gar nicht richtig nachgedacht.
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