Selten war der afrikanische Luftraum so dicht mit deutschen Regierungsdelegationen besetzt: Bundeskanzlerin Merkel in Senegal, Ghana, Nigeria. Bundesentwicklungsminister Müller in Eritrea, Äthiopien, Mosambik, Botswana, Simbabwe, Tschad. Und Staatsministerin Michelle Müntefering aus dem Auswärtigen Amt in Namibia. So wichtig ist Afrika für die deutsche Politik inzwischen geworden.
Aber der Fokus der Reisen wirft mehr Fragen auf als Antworten. Während die Juniorministerin Müntefering in Windhuk mit der äußerst sensiblen Rückführung von Herero- und Nama-Gebeinen für Deutschland einen Bußgang antrat, konnte Minister Müller politisch entspannt mit den Entwicklungsmilliarden winken - selbst in Eritrea, Äthiopien und Simbabwe, wo das bis vor kurzem noch verpönt war.
Und Bundeskanzlerin Merkel? Hatte ihre Reiseziele sorgfältig gewählt: Mit Senegal, Ghana und Nigeria besuchte sie Reformpartner, die nicht nur wirtschaftlich interessant sind, sondern als Herkunftsländer auch im Zentrum der Migrationsdebatte stehen.
Und hier wird es kritisch: Während Merkel zwischen 2012 bis 2015 kein ein einziges Mal den Nachbarkontinent betrat, entwickelte sie seit dem Beginn der Flüchtlingskrise eine hektische Reisediplomatie. Seit 2016 besuchte sie nicht weniger als neun afrikanische Länder - allesamt migrationsrelevant.
Verzweifelte Investitionsappelle
Merkel genießt in Afrika hohes Ansehen - gerade wegen der historischen Flüchtlings-Entscheidung von 2015, für die sie in Deutschland am Pranger steht. So sind die Gastgeber hoch erfreut über den Besuch, dem einen oder anderen spielt es direkt in die Wahlkampfpläne. Die mitreisenden Medien aus Deutschland bekommen die erhofften Schlagzeilen, die den Zusammenhang zwischen Investitionen und Migrationsbegrenzung klarstellen. Soweit so gut.
Doch den gordischen Knoten der deutschen Afrikapolitik löst die Reise mitnichten. Merkel wirbt zu Recht für deutsche Investitionen. Von 400.000 im Ausland tätigen deutschen Unternehmen sind gerade mal 1.000 in Afrika engagiert. Zieht man den Standort Südafrika ab, bleiben nicht mal mehr 400 Unternehmen übrig. Also nur jedes tausendste, das im Ausland tätig ist. Wenn Merkel also flammende Appelle an die anderen 999 richtet, sind das Töne, welche die Afrikaner erfreuen. Aber verpflichten kann die Kanzlerin niemanden. Das bekommt nur China hin, und die Chinesen sind überall schon da. Das sogenannte deutsche "Afrika-Jahr 2017" hat vor allem jede Menge Eckpunktepapiere, Leitlinien und Kooperationsinitiativen hervorgebracht. Das Finanzministerium will mit dem Compact with Africa-Programm sichere Investitionspartnerschaften hervorbringen. Der Wirtschaftsminister mit der Pro! Afrika-Initiative Instrumente der Außenwirtschaftsförderung schärfen und Entwicklungsminister Müller mit dem Marshallplan mit Afrika am besten im Alleingang den Kontinent retten.
Immerhin: Inzwischen greifen ein paar Maßnahmen offenbar: Die Direktinvestitionen 2018 hatten bereits im Juli mit gut einer Milliarde Euro das Volumen des Vorjahres überschritten. Garantie-Instrumente, allen voran die Hermes-Bürgschaften, machen das Investieren leichter.
Aber Deutschland überhebt sich maßlos mit seinen Ansprüchen. Der Handel mit Afrika kann nur über die Europäische Union umgekrempelt werden. Bei der EU aber geht es schnell an die Schmerzgrenze: Die Wirtschaftlichen Partnerschaftsabkommen (EPA), auf die Brüssel komprmisslos besteht, überfordern nach Expertenmeinung Afrikas Volkswirtschaften in ihrem jetzigen Zustand. Hindernis sind nicht die Zölle, die Minister Müller schlagzeilenträchtig abzuschaffen fordert - denn es gibt sie gar nicht. Das Kernproblem ist, dass es kaum eine Veredlungsindustrie gibt in Afrika, wenig konkurrenzfähige Fertigprodukte und deswegen auch kaum Arbeitsplätze. Bohnen, Tomaten und Schnittblumen finden durchaus ihren Weg in die EU. Die wenigen Fertigprodukte aber scheitern - wenn nicht schon am fehlenden Strom in Afrika, dann an den bürokratischen Auflagen und nötigen Zertifizierungen. Genau hier könnte Deutschland helfen.
Paradigmenwechsel unvermeidlich
Im Umgang mit Afrika braucht es keine neuen Papiere, sondern einen Paradigmenwechsel im Kopf. Klarer als bisher die eigenen Interessen formulieren: von Bodenschätzen über Sicherheit bis hin zur Verhinderung illegaler Migration. Deutschland muss nicht als Oberlehrer auftreten, seine Partner aber nach klar kommunizierten Maßstäben aussuchen. Es sollte sein Helfersyndrom ablegen und auf Kollegenmodus schalten. Statt eines verkappten Afrikaministers im Entwicklungsministerium und konkurrierenden Stabsstellen in drei Ministerien sollte es einen wirkmächtigen Koordinator im Kanzleramt geben.
Ein ähnliches Modell empfiehlt sich für Brüssel - denn Fluchtabwehr im Mittelmeer muss verknüpft sein mit Perspektiven. Ein koordiniertes Investitions- und Handelsprogramm, das auch die immer noch unglaublich hohen europäischen Agrarsubventionen in den Blick nimmt. Deutschland, das in Afrika als europäische Wirtschaftslokomotive und authentischer Makler wahrgenommen wird, muss aber auch den fragilen Demokratien und Zivilgesellschaften ein verlässlicher Partner bleiben. Um glaubhaft zu agieren, muss es sich auch der kolonialen Altlast stellen - wie in Namibia. Ein schmerzhafter Prozess. Er hätte mit der Reiseplanung beginnen können: Eine Bundeskanzlerin, die anstelle einer Juniorministerin sich selbst vor Ort der Entschädigungsfrage stellt - das wäre ein viel beachtetes Signal gewesen.