Kanonenboot-Politik im Asowschen Meer
Der Streit zwischen Kiew und Moskau hat einen neuen Höhepunkt erreicht. Die Führung der Ukraine hat das Kriegsrecht über große Teile des Landes verhängt. Anlass ist die Beschießung und Kaperung dreier ukrainischer Marineboote durch Russland am Wochenende.
Die Schiffe wollte Kiew von Odessa im Schwarzen Meer durch die Meerenge Kertsch in die Häfen Berdjansk und Mariupol am Asowschen Meer verlegen. Russland hat sie mit Gewalt gestoppt und die Besatzungen auf der Krim festgesetzt. Mehrere ukrainische Matrosen wurden bei der Aktion verletzt.
In der Sache ist die Ukraine im Recht
Vollkommen zu Recht protestiert die Ukraine gegen das Vorgehen. Russlands verletzt damit das Völkerrecht, internationale Seerechtsübereinkommen und einen bilateralen Vertrag beider Länder über die Nutzung des Asowschen Meeres, die allesamt den freien Schiffsverkehr vorsehen, Marineschiffe eingeschlossen. Wie bei der Annexion der Krim und seiner Unterstützung für die Separatisten im Donbass zeigt der Kreml aufs Neue, dass er rechtlich bindende Verträge ignoriert und auf die Politik der Stärke setzt.
Zu Recht bekommt die Ukraine internationale Unterstützung. Partner in Europa wie Deutschland, aber auch Kanada und die USA stehen weiter an der Seite der Ukraine. Denn die rechtliche und politische Bewertung der russischen Aggression ist klar. Allein schon weil kaum ein Staat auf der Welt die Annexion der Krim anerkannt hat, kann die Behauptung Moskaus nicht stimmen, die Ukraine habe russisches Territorium verletzt.
Werden Bürgerrechte eingeschränkt?
Doch warum ruft der ukrainische Präsident Petro Poroschenko nun das Kriegsrecht aus? Er will damit Reservisten mobilisieren und die Landesverteidigung und Informationssicherheit stärken. Doch im Kriegszustand könnten auch die Bürgerrechte wie zum Beispiel die Versammlungs- und Meinungsfreiheit eingeschränkt oder wirtschaftliche Zwangsmaßnahmen vollstreckt werden. Poroschenko hat beteuert, das werde nicht passieren. Doch die Furcht treibt viele Ukrainer wohl weiter um. Denn der Erlass des Präsidenten, den die Abgeordneten des Parlaments am späten Montagabend beschlossen haben, ist in vielen Punkten vage formuliert.
Eigentlich wollte Poroschenko das Kriegsrecht für 60 Tage und das ganze Land. Nach einer chaotischen Parlamentssitzung mit vielen Korrekturen soll es nun für 30 Tage und nur zehn Gebiete gelten, die in der Nähe zu russischem oder russisch kontrolliertem Territorium liegen. Wie das die Landesverteidigung verbessern soll, ist unklar.
Der Mehrheit der Parlamentsabgeordneten gingen die Forderungen des Präsidenten jedenfalls zu weit. Denn am 31. März nächsten Jahres soll in der Ukraine der Staatschef neu gewählt werden. Dafür muss Ende Dezember der Wahlkampf beginnen, also in gut 30 Tagen. Würde das Kriegsrecht länger andauern, wären Wahlen unmöglich. Denn die Demokratie wird dadurch faktisch außer Kraft gesetzt.
Kriegsrecht als Wahlkampf-Manöver?
Erst nach zähem Ringen hat der Präsident nachgegeben. Ihm wehte im Parlament ein scharfer Wind entgegen. Denn der einst starke Mann der Ukraine ist angeschlagen. Die meisten Bürger sind unzufrieden mit der Arbeit Poroschenkos. Fünf Jahre nach der - alle Bevölkerungsgruppen umfassenden - Maidan-Bewegung, die für eine demokratische Ukraine und gegen Korruption auf die Straße gegangen war, steckt der politische Aufbruch fest.
Kein Wunder also, dass viele Ukrainer über das Kriegsrecht besorgt sind. Der vom Kreml unterstützte Krieg der Separatisten im Osten der Ukraine gegen Kiew hat über 10.000 Menschen das Leben gekostet. Trotzdem sprach die ukrainische Führung jahrelang nur von einer anti-terroristischen Operation.
Jetzt aber wird das Kriegsrecht ausgerufen, weil Marineschiffe von Russland in der Straße von Kertsch gekapert wurden. Ist das ein Wahlkampf-Manöver eines Präsidenten, der mit dem Rücken zur Wand steht? So kurz vor den Wahlen wird jedenfalls so Misstrauen geschürt - in der ukrainischen Bevölkerung, weil sie ihre demokratischen Freiheiten nicht verlieren will, aber auch bei den Partnern im Westen, weil sie auf eine Deeskalation drängen. Moskau setzt unterdessen weiter auf die Politik der Kanonenboote und treibt Kiew dabei vor sich her.